Vortrag über die Entstehung und Entwicklung des Siedlerwesens der Siedlergemeinschaft Broitzem

Dieser Bericht wurde erstellt aus Anlass des 50jährigen Bestehens der Siedlergemeinschaft Broitzem am 30. September 1989 von Alfred Rother
Gustav-Harmsstraße 3



1. Allgemeines und Vorgeschichte

Siedeln heißt sesshaft werden.
Es ist Wunsch und Ziel der Menschheit seit ihrem Bestehen.
So bildeten sich schon früh etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Gruppen und Gemeinschaften, mit dem Ziel, das Siedeln sprich Sesshaftwerden zu fördern. Es waren meistens Selbsthilfegruppen, die teilweise von kirchlicher Seite unterstützt wurden. So entstand neben der Erwerbssiedlung der Kleinsiedlungsgedanke, mit dem Ziel der Wohnraumversorgung. Eine staatliche Förderung der Kleinsiedlung gab es erstmals durch das preußische Wohnungsgesetz vom 25. März 1918, das Reichsiedlungsgesetz v. 11. Aug. 1919 und das Reichsheimstättengesetz vom 10. Mai 1920. Hauptanliegen waren die Milderung der Kriegsfolgen des 1. Weltkrieges. Die Schaffung von bodenverbundenem Wohneigentum für zurückkehrende Soldaten und Kriegerwitwen sollte gefördert werden.

Am 6. Okt. 1931 erließ der damalige Reichspräsident von Hindenburg die 3. Notverordnung. Der Teil 4 dieser Verordnung schuf die Grundlage für die vorstädtische Kleinsiedlung. Hierdurch sollte das Wohnen in städtischen Mietskasernen verringert werden, die sich seit der Wirtschaftskrise des Jahres 1929 zunehmend zu Arbeitslosengettos entwickelt hatten. Die Verordnung stellt, klar, dass Derjenige der siedeln will oder gesiedelt hat ein Siedler ist. Sie unterscheidet zwischen der Erwerbs- (sprich bäuerlichen Siedlung) und der Kleinsiedlung. Die Kleinsiedlung wurde auch in den folgenden Jahren weiter gefördert, z.B. durch die Kleinsiedlungsbestimmungen des Reichsarbeitsministers vom 14.09.1957 bzw. 23.12.1938.


2. Zusammenschluss der Kleinsiedler

Einen größeren Zusammenschluss der Kleinsiedler gab es erstmals am 10. Mai 1919 in der "Freien Arbeitsgemeinschaft für Kleinsiedlungen e.V. "mit Sitz in Dresden. Hieraus wurde der "Sächsische. Siedlerbund" der später in "Deutscher Siedlerbund e.V." Sitz Dresden umbenannt wurde. Ihm folgte 1933 u. 1934 der "Reichsbund der Kleingärtner und Kleinsiedler e.V." mit Sitz in Berlin. Der Reichsbund übernahm die Betreuung und Beratung der Kleinsiedler beim Bau, der Gartengestaltung und Kleintierhaltung. Einer solchen Betreuung hatten sich die Siedler zu unterwerfen. Dies wurde in der 3. Notverordnung ausdrücklich verlangt. Dies war in großen Zügen die Vorgeschichte des Siedlungswesens des Siedlerbundes.


3. Die Siedergemeinschaft Broitzem

Als Gründungsdatum ist der 16.1.1939 angegeben.
Die Mitglieder der Gemeinschaft kamen vornehmlich aus der seit 1938 z.T. noch im Bau befindlichen Kleinsiedlung zwischen Westerbergstraße und Kruckweg. Ihr Vorstand setzte sich aus einem Siedlungsleiter, Schriftführer, Kassierer, Revisor und Lehrwart für Obst-, Gartenbau und Kleintierhaltung zusammen. Als erster Siedlungsleiter wird Herr Wilhelm Viedt genannt. Für die örtliche Siedlergemeinschaft, galten die Satzung und Richtlinien des Reichsbundes. Da im gleichen Jahr der 2. Weltkrieg ausbrach war das Vereinsleben durch Einberufung der Siedler zum Teil unterbrochen, so dass heute keine Aufzeichnungen über die Entwicklung der Ortsgemeinschaft u. deren Mitgliederstärke vorliegen. Die Siedlergemeinschaft Broitzem dürfte bei ihrer Gründung schätzungsweise aus 15 Mitgliedern bestanden haben.
Nach Kriegsende übernahm Siedlerfreund Karl Freytag sen. den Vorsitz in der örtlichen Gemeinschaft. Zu diesem Zeitpunkt mussten öffentliche Versammlungen mitunter von der Militärregierung genehmigt werden. Durch die Einteilung des Reiches in Besatzungszonen, galt es, das Siedlerwesen neu zu organisieren. Anstelle der Gaugruppen entstanden Landes- und Kreisgruppen. Der monatliche Mitgliedsbeitrag dürfte Anno 1946 ca. 35 Pl. betragen haben. Eine Mitgliedskarte vom 01.08.1946 trägt den neuen Kopfaufdruck "Deutscher Siedlerbund e.V. Gruppe West".
Protokollbücher sind leider erst seit dem Jahre 1953 vorhanden. Bei der Siedlerversammlung am 03.10.1955 begrüßte Siedlungsleiter Freytag 16 Siedler u. 9 Siedlerfreuen. Dies dürfte dem etwaigen Mitgliederstand von 20 bis 25 Siedlern entsprechen. Der Kassenbestand am 27.1.1954 betrug DM 35,49.
"Siedlergedanke wächst ständig" schreibt die Braunschweiger Zeitung am 08.02.54. Anlass war die Tagung der Kreisgruppe im Haus zur Hanse. Die Mitgliederzahl der Kreisgruppe, die aus 25 Ortsgemeinschaften bestand, war innerhalb von 8 Monaten von 997 auf 1138 Siedler gestiegen. Als in Broitzem die Siedlung am Steinberg (Baubeginn 1954) entstand, stieg euch die Mitgliederzahl der örtlichen Siedlergemeinschaft. Hier zu folgende Beispiele:

Hauptversammlung am 07.01.1956: Anwesende 11 ,Siedler, 6 Siedlerfrauen
Hauptversammlung am 27.01.1957 Mitgliederstand 57 Siedler.
Hauptversammlung am 11.01.1959 Mitgliederstand 90 Siedler.
Hauptversammlung am 08.03.1969 Mitgliederstand 131 Siedler
Auch der Kassenbestand wuchs entsprechend. Er betrug z.B. am 05.03.1960 DM 861,30.
Heute gehören der örtlichen Siedlergemeinschaft 147 Mitglieder aus allen Broitzemer Siedlungsgebieten und der Weststaus an. Vom Februar 1972 bis 1974 war Siedlerfreund Habekost Vorsitzender. Als dieser am 15.02.1974 aus gesundheitlichen Gründen sein Amt niederlegte, wurde der bis zum heutigen Tage amtierende Vorstand gewählt. (Dies sind. Karl Freytag jun. Rolf Steffen, Herbert Betzold u. Gerhard Pech).


4. Leistungen des Siedlerbundes

Die Leistungen des Siedlerbundes bestehen in erster Linie aus Betreuung und Beratung der Mitglieder. Sie reichen von Anregungen in der Garten- und Gebäudepflege bis zur Rechtsberatung in Erbschafts-, Steuer- und Versicherungsfragen. In einer Monatszeitschrift, die zur Zeit unter dem Namen "Familienheim und Garten" erscheint, werden die Siedler über alle aktuellen Fragen informiert. Diese umfassende Betreuung, sowie die Vertretung der Siedlerbelange gegenüber dem Gesetzgeber sind nur in der Gemeinschaft möglich. Der Zusammenschluss der Siedler im Deutschen Siedlerbund war, und wird auch in Zukunft eine Notwendigkeit bleiben.



5. Siedlungsgebiete in Broitzem

Von Broitzemer Ortsteilen sind 4 als Siedlungsgebiete, -sprich Siedlungen- anzusprechen. Dies sind:
• die Rentensiedlung zwischen Westerbergstraße und Turmstraße
• die Kleinsiedlung zwischen Westerbergstraße und Kruckweg
• das Siedlungsgebiet Steinberg
• mit gewissen Einschränkungen das Neubeugebiet Steinberg/Westerberg

  • Die Rentensiedlung


Ihr Bau begann 1908 mit dem Ziel der Errichtung von Arbeiterwohnhäuser. Ein Vertrag aus dem Jahre 1911 sagt folgendes aus: Bauträger war die so genannte Rentenhausgenossenschaft. Die Grundstücksgröße betrug 1250 m². Die Gesamtkosten für Bauland, das zu errichtende Haus einschließlich, Stall und eines mehreren Grundeignern gemeinsam zu benutzenden Brunnens betrugen 8060 Goldmark.
Erforderliche Anzahlung bei Baubeginn waren 512 Goldmark. Die erste Baumaßname war die Errichtung eines Brunnens. Hypothekengeber war die Braunschweigische Landesversicherunsanstalt. Der Zinssatz betrug 4

  • Die Kleinsiedlung


Im Jahr 1938 wurde mit dem Bau der Kleinsiedlung zwischen Westerbergstraße und Kruckweg begonnen, deren Fertigstellung infolge des 2. Weltkrieges sich fast bis 1946 hinzog. Bauträger war die "Gemeinnützige Wohnungsbau- und Kleinsiedlungsgesellschaft Braunschweig-Land. Eine Bauzeichnung aus dieser Zeit weißt den Kleinsiedlungshaustyp 16 c mit angebautem Stall aus. Die durchschnittliche Grundstücksgröße betrug 650 m².
Die Gesamtkosten waren mit 7800 Reichsmark veranschlagt. An der Planung hat der "Deutsche Siedlerbund Gaugruppe Südhannover/Braunschweig“ mitgewirkt. Eine Empfehlung der Gaugruppe aus dem Jahre 1942 sieht eine einheitliche Umzäumung und Begrünung des Siedlungsgebietes vor. Besonderes Augenmerk galt damals dem Siedlergarten und der Kleintierhaltung. Es gab verbindliche Richtlinien für die Anpflanzung von Obstgehölzen und Beerensträuchern. An Kleintieren wie Geflügel, Kaninchen, Ziegen und Schafen, sollten bestimmte Nutzrassen, sogen. Reichsrassen gehalten werden. Auch der Hinweis, dem örtlichen Ziegenzuchtverein beizutreten fehlte nicht. Das damals erstellte Kleinsiedlungshaus, ist heute in den meisten Fallen durch Um- und Erweiterungsbauten vergrößert und modernisiert.

  • Die Steinbergsiedlung


Der Ursprungsgedanke, mit der Kleinsiedlung Kriegsfolgen zu lindern wurde in Broitzem auch 1954 wieder. in die Tat umgesetzt. Das Bauvorhaben "Steinbergsiedlung," 1. Bauabschnitt Gustav-Harms-Straße, Am Steinberg, Lerchengasse, hatte als vorrangiges Ziel, Wohnraum für die zugewanderten Heimatvertriebenen zu schaffen. Ins Leben gerufen und ermöglicht wurde das Ganze, durch den Flüchtlingsbetreuer Herrn August Eisenblätter, Herrn Mensing, Siedlungsobmann im Bund der Vertriebenen, den Landwirten Homann, Thörmann und Behrens, sowie dem damaligen Bürgermeister Herrn Otto Brunke. Die Vertriebenenbaugenossenschaft "Wiederaufbau" war der Bauträger. Für Grundstücke von 400 - 600 m² und das Siedlungshaus mit Einliegerwohnung waren Kosten von DM 25000' veranschlagt. Erforderliches Mindesteigenkapital ca 3.000 DM. Der Mietpreis für die Einliegerwohnung war mit 80 Pf. pro m² festgeschrieben. Die Hauptfinanzierung neben erster und zweiter Hypothek erfolgte aus Mitteln nach dem Lastenausgleichgesetz, aus Landes- und Kreismitteln. Auch die staatliche Bausparförderung wurde hier schon wirksam. Einen nicht zu unterschätzenden Anteil aber erbrachten die Siedler wie auch in früheren Jahren durch Eigenleistung. Das Ausschachten der Baugruben von Hand, auf dem mergeldurchsetzten Steinberggelände war harte Knochenarbeit. Dem Durchschnittsverdienst des Siedlers von ca. 250 DM, standen monatliche Belastungen von 80 bis 100 DM gegenüber.
Von der "Niedersächsischen Landbau" wurden im gleichen Abschnitt so genannte
antiwirtschaftliche Nebenerwerbssiedlungen erstellt. Die Gesamtkosten einschließlich 12oo m² Grundstück betrugen DM 28.000. Voraussetzung für den Erwerb einer solchen Siedlung waren die Beschäftigung in Land- und Forstwirtschaft oder der Nachweis, dass die Vertriebenen in der Heimat landwirtschaftlichen Besitz hatten. Staatliche Zuschüsse wurden ferner nur dann gewährt, wenn die Siedler gegenwärtig als Eigentümer oder Pächter 2 Morgen Land bewirtschafteten. Zu der bereits erwähnten Kreditgewährung kamen dann noch Mittel aus einem Sonderfond für Landwirtschaft. Straßen waren während dieses Bauvorhabens noch nicht. fertig gestellt. Als im Spätherbst 1955 die ersten Siedler ihre Häuser bezogen, war festes und wasserdichtes Schuhwerk erforderlich. In die Geschichte Broitzems ging daher dieser erste Bauabschnitt "Steinbergsiedlung" als die so genannte Gummistiefelsiedlung ein. Das Bauvorhaben Steinbergsiedlung endete etwa 1960 bis1962 im Gebiet der heutigen Karlsbader-, Insterburg- und Prenzlaustraße. Bis dahin waren Grundstückspreise und Baukosten erheblich gestiegen. So betrugen z.B. die Gesamtkosten für eine Doppelhaushälfte ca 40.000 bis 45.000 DM.

  • Neubaugebiet Steinberg/Westerberg

Als im Jahre 1965 Eigenheime rechts der Turmstraße errichtet wurden, war dies der Beginn für die Erstellung des heutigen Neubaugebietes Steinberg/Westerberg, dessen Bauzeit sich über fast 20 Jahre erstreckte. Broitzem, durch seine Nähe zur Stadt, wurde für die vielen in Braunschweig Berufstätigen zum begehrten Wohnort. So entstand ein neues Wohngebiet, in gemischter Bauweise mit unterschiedlichen Gebäudetypen, erstellt von überwiegend privaten Bauträgern. Verknappung von Bauland und ständig steigende Baukosten, sind wohl die Hauptursache dafür, dass der überwiegende Teil der Eigenheime als Reihenhäuser erstellt wurden. Auf immer kleiner geworden Grundstücken können nur noch Ziergärten angelegt werden. Von einer Siedlung im herkömmlichen Sinne kann hier kaum noch die Rede sein. Das klassische Siedlungshaus, der Siedlergarten und größere begrünte Flächen, sind nur in geringen Umfang vorhanden. Es ist nicht beabsichtigt, hier irgendwelche Wertungen vorzunehmen. Der Eigenheimer des Reihenhauses ist mit Recht ebenso stolz auf seinen Besitz, wie der Siedler früherer Tage. Weniger Arbeitsaufwand im Garten und geringere Unterhaltungskosten können vorteilhaft sein, da ja oft beide Ehepartner berufstätig sind. Dagegen stehen soziale Probleme. Die Altenpflege, die früher vornehmlich von der Familie ausgeübt wurde, die Schaffung von zusätzlichem Wohnraum für erwachsene Kinder durch Um- bzw. Erweiterungsbauten. All das war in der klassischen Siedlung, dem Familienwohnheim bzw. Heimstätte leichter zu lösen, denn hier lebten oft 5 Generationen unter einem Dach.


Abschlussbetrachtung

Wenn man vom Fernmeldeturm, dem heutigen Wahrzeichen Broitzems über den Ort schaut, erkennt man Wachstum und Veränderung des Ortes in vollem Umfang. Durch die neu entstandenen Ortsteile erhielt Broitzem ein neues Gesicht. Die Broitzemer Siedler und Eigenheimer haben an dieser Entwicklung einen nicht unbedeutenden Anteil. Durch die Pflege ihrer Gebäude trugen sie zur Verschönerung des Ortes bei. Oft unterschätzt und wenig beachtet wird ihr Beitrag zum Umweltschutz, den sie auf eigene Kosten mit der Begrünung ihrer Gärten und Grundstücksflächen leisten. Als Mitglieder in örtlichen Vereinen und Verbänden nahmen die Siedler am gesellschaftlichen und kulturellen Leben des Ortes teil. So hoffen wir, dass die Siedlergemeinschaft heute nach 50 Jahren eine Bilanz ziehen kann, die auch von allen Mitbürgern positiv beurteilt wird.
Dieser Bericht könnte sicher noch ergänzt werden. Er ist auch auch keine Chronik. Er stellt aber erstmals eine zusammenhängende Übersicht über die Entwicklung des Siedlerwesens in Broitzem dar, auf die einmal spätere Siedlergenerationen aufbauen können. Vielleicht, ist er aber auch ein bescheidener Beitrag zur Geschichte des Ortes Broitzem.


Anmerkung:
Alfred Rother verstarb im Jahr 2009, war fast 40 Jahre in der Siedlergemeinschaft Broitzem. Er wurde 86 Jahre alt.

Alfred Rother (2005), im Hintergrund Herbert Betzold  

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