Bericht M. Höhne

Der Festzeitschrift »60 Jahre Siedlergemeinschaft Drei Linden« entnommen:

Eine Ureinwohnerin, 1937 als erstes Kind in der Siedlung geboren, erinnert sich
Die Anfänge dieser Schilderung sind den Erzählungen der älteren Familienmitglieder nachempfunden.

Mit vielen Erwartungen der zukünftigen Siedlerfamilien wurde am 21.03.1935 der „Erste Spatenstich“ für die ersten 58 Häuser der neu zu gründenden Siedlung an der Lindener Straße feierlich vorgenommen. Ein Augenblick, der den Anwärtern auf ein eigenes Familienheim eine neuen Zukunft eröffnete. Mit Aussichten, die sie sich immer dann weiter und schöner ausmalten, wenn sie mit ihrer kleinen Familie schon von der Lindener Straße aus – weit ab von der Stadt über das freie Feld laufend – den Traum von „ihrem Grundstück“ in Augenschein nehmen konnten und es in großen Schritten besitzergreifend umrundeten. Man konnte sich jedoch nicht sicher sein, welcher Nachbar auf welchem Grundstück zur Rechten oder Linken einziehen würde. Denn die Zuteilung erfolgte – wie einige der Beteiligten berichten konnten – im Hotel „Kronprinz“ in Form einer Verlosung erst am 14. Mai 1935.

Die Bewerbungsbedingungen für eine Siedlerstelle beinhalteten damals u.a., daß für jedes Familienmitglied ein Attest auf Erbgesundheit beigebracht werden musste. Der Bewerber hatte sich rückhaltlos für den damaligen Staat einzusetzen. Es waren zum Ausbau der Siedlerstelle zwischen 500 – 1000 Reichmark an Barkapital einzubringen. Sämtliche eventuellen Ersparnisse waren für den Bau verfügbar zu machen.

Für den ersten Bauabschnitt waren einzelstehende, einheitliche Einfamilienhäuser geplant, die entweder mit einem in das Haus einbezogenen oder außen an das Haus angebauten Kleintierstall für eine Ziege, ein Schwein, Kaninchen und Hühner ausgestattet waren. Die hier entstehende „Heimstätte“ sollte in Zukunft einer vierköpfigen Familie als Ernährungsgrundlage dienen. So war auch der Rest des Grundstückes durch Gemüse- und Obstanbau entsprechend zu nutzen. Verwertbare organische Stoffe waren als Kompost und Dünger wieder in den Boden einzubringen.

Der Preis für eine derartig ausgestattete Siedlerstelle betrug bei den niedrigen Bodenpreisen und einem hohen Anteil an Eigenarbeit eines jeden Familienmitglieses und entsprechend geforderter Nachbarschaftshilfe rund 7.000 Reichsmark. Wer weitere 600 RM aufbringen konnte, ließ sein Haus um einen Sparrenabstand länger bauen.

Bild 1: Grimmstr. 19  


Die Bauarbeiten schritten schnell voran. Der Träger der Baumaßnahmen, die heutige WoBau „Wolfenbütteler Baugesellschaft mbH“, konnte die „Siedlungsanwärter“ und alle an den Bauarbeiten beteiligten Kreise am 28. August 1935 zu einem zünftigen Richtfest in die Waldgaststätte „Antoinettenruh“ einladen. Damit die Feier einen angemessenen Rahmen erhalten konnte, hatte sich jede Siedlerstelle mit 1,-- RM je Teilnehmer an den Kosten zu beteiligen.

Dank dieser gemeinsamen Leistungen konnten bereits im November 1935 die ersten Familien ihre Häuser beziehen und so Weihnachten schon in den eigenen vier Wänden begehen.

Waren auch die Straßen noch nicht fertig, ein Kanalisationsanschluß war sowieso nicht vorgesehen, und wurden die Siedlungshäuser wegen ihrer geringen Abmessungen von den Städtern gern als „Starenkästen“ belächelt, wollte doch keiner der frischgebackenen Hausbesitzer mit einem Stadtbewohner tauschen. Hatte sich doch hier in kurzer Zeit durch das gegenseitige Helfen, die gleichgearteten Probleme und das enge Beieinanderleben eine neue Art des Zusammenlebens entwickelt.

Bild 2: Schopenhauerstr. 6  

Kurz gesagt, es hatte sich eine GEMEINSCHAFT gebildet, die sich und ihren Geist über 60 Jahre lang, d.h. bis heute in das Jahr 1995 hinein erhalten hat. Mit Dankbarkeit sollten wir daher der Siedlerinnen und Siedler gedenken, die mit dem Vorsitzenden ARTHUR KOLBE im Jahre 1935 beginnend eine Siedlergemeinschaft aufgebaut haben, zu der im Folgejahr in einem zweiten Bauabschnitt weitere 31 typgleiche Siedlerhäuser und 1937 im letzten Abschnitt 29 Eigenheime, konzipiert als Einfamiliendoppelhäuser mit getrennt stehendem Stallgebäude, hinzukamen.

Daß diese Siedler nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes geschuftet haben, sondern daneben auch noch Feste feierten und die Geselligkeit pflegten, d.h. die angenehmen Seiten des doch recht kärglichen Lebens genießen konnten, geht aus den Berichten über das damalige Gemeinschaftsleben hervor. Erinnert sei hier an die Versammlungen und Vergnügen im „Kammerkrug“ in Linden, an die Zeltfeste in der Okerwiese, die Fahrten in die nähere und weitere Umgebung, an die Straßenfeste, die Osterfeuer und nicht zuletzt an die zünftigen Feiern zu den 25-, 40- und 50jährigen Jubiläen.

Und zu einem kleinen Plausch von Zaum zu Zaum oder über die Gartenpforte waren und sind auch heute noch alle gerne bereit.

Der Zusammenhalt und die Geselligkeit der Siedler zeigt sich noch heute in den Aktionsgruppen, die den vielen Gleichgesinnten sei es sportliche Betätigung oder die zum Alltagsstreß notwendige Entspannung und den Ausgleich bieten.

Die Angebote an Gemeinschaftsbestellungen und damit an fachgerechtem und kostengünstigem Einkauf, z.B. für Bodenanalysen, Düngemittel, Obst- und Ziergehölze, sowie die Schulungen zum Anlegen eines Gartens, zur ökologisch sinnvollen Nutzung des Grunstücks oder zum Schnitt der Gehölze sind auch heute wieder aktuell.

So wurden in den Anfangszeiten die jungen Siedlerinnen in der für die Familien so wichtigen optimalen Nutzung und Konservierung der selbst erzeugten Nahrungsmittel wie Fleisch, Ziegenmilch, Eier, Obst und Gemüse genauso unterwiesen wie auch in der sinnvollen Verwendung der häuslichen Abfälle für Haustiere und den Garten.

Bild 3: Siedlergärten mit vielen Obstbäumen  

In dem seit jeher geringen Siedlerbeitrag ist neben der monatlich erscheinenden Verbandszeitschrift mit immer aktuellen Tips zu Haus- und Grundstücksfragen auch eine Grundstückshaftversicherung mit eingeschlossener Bauherrenversicherung enthalten. Der Anspruch auf Rechtsberatung in allen Dingen, die die Siedlerstelle betreffen, das vielfältige Informationsmaterial, die Interessenvertretung gegenüber der Kommunalverwaltung, den Politikern und nicht zuletzt gegenüber den Nachbarn bewegt immer mehr Eigenheimbesitzer zu Mitgliedschaft in dieser starken Gemeinschaft.

So zählte die Siedlung um 1937/38, d.h. zur Zeit des langjährigen Vorsitzenden und später Ehrenvorsitzenden Herman Walter bereits 118 Mitglieder und eine ganze Reihe von sogenannten Jungsiedlern und Fördermitgliedern.

Die Jahre des zweiten Weltkrieges brachten der Siedlergemeinschaft große Verluste – es sei an dieser Stelle erinnert an die vielen, die aus dem Feld oder der Gefangenschaft nicht zurückkamen. In der Erinnerung wird vielen Anwohnern noch der 14. Januar 1944 sein. Ein Unglückstag für die Siedlung, als während eines Bombenangriffs auf die östlichen Stadtteile auch eine Bombe, eine Luftmine mit enormer Drückwirkung, zwischen der Kopernikus- und der Kantstraße niederging. Zwei Menschenleben waren zu beklagen, mehrere Häuser wurden total zerstört, im gesamten Siedlungsbereich waren Häuser beschädigt. In dieser Situation bewährte sich die Gemeinschaft der Nachbarn. Es wurden sofort Unterkünfte für die „Ausgebombten“ zur Verfügung gestellt. Jeder half jedem genauso spontan beim Bergen und Sichern von Habseligkeiten und Inventar wie später beim Aufräumen der Straßen und Grundstücke und den notwendigen Reparaturen zu Wiederherstellung der Wohn- und Nutzräume.

Um 1952 herum sollte die „Siedlung an der Lindener Straße“, wie es bei den anderen Siedlungen in Wolfenbüttel bereits geschehen war, ihren eigenen, einprägsamen Namen erhalten. Die Siedler mit ihren Freunden, die Politiker, die Stadtverwaltung, also eine Menge von Leuten haben lange und viel überlegt. Vorschläge wurden eingereicht und wieder verworfen.

Im Balkon- und Vorgartenwettbewerb 1953 der Stadt Wolfenbüttel wurde als Preis von der Siedlung ein Lindenbaum gewonnen. Diese Linde sollte 1954 am „Tag des Baumes“ in einem feierlichen Akt im Beisein des Stadtdirektors gepflanzt werden. Zur Freude der Versammelten enthielt das Pflanzpaket jedoch nicht nur den zugesagten einen Baum sondern gleich drei junge Linden, die unter Jubel natürlich sofort eingepflanzt wurden.

Die „Stamm-Linde“ mit Urkunde wurde an der Kepler-/Hegelstaße von den Siedlerinnen und Siedlern eingesetzt. Die zweite Linde wurde von der Jugend als „Kinder-Linde“ an der Ecke Elsässer-/Hegelstraße gepflanzt. Der dritte Baum wurde von den Siedlerinnen in die Einmündung des Weges in die Okerwiese an der Kreuzung Grimm-/Kepler- und Kopernikusstraße als „Frauen-Linde“ gesetzt. Alle drei Bäume haben sich prächtig entwickelt und so der Siedlung den Namen „DREI LINDEN“ gegeben.

In diesem Jahr erfolgte auch der Anschluß des Siedlungsgebietes an die Kanalisation und die Befestigung der Schotterstraßen mit einer Teerdecke.

Das 25jährige Jubiläum wurde im Jahre 1960, wie es sich für die Siedler gehörte, mit einem zünftigen Zeltfest über drei Tage in der Okerwiese begangen. Das 40jährige Bestehen dagegen wurde 1970 in der neuen Lindenhalle gefeiert. Die bei diesen Festen üblichen Festumzüge vorbei an den mit Fähnchen, Girlanden und Blumen dekorativ geschmückten Siedlungsgrundstücken bleiben den Teilnehmern sicherlich in guter Erinnerung.

Bild 4: Die Feier zum 25jährigen Bestehen der Siedlung in der Okerwiese (1960)  

Haben sich im Laufe der Jahre die Häuser durch An- und Umbauten dem modernen Lebensstil entsprechend verändert – ist aus dem ehemaligen Stall ein Bad geworden, hat der im Ursprung auf Ertrag und Lebensunterhalt für die Familie getrimmte Nutzgarten auf vielen Grundstücken sich in einen Zier- und Wohngarten gewandelt – so ist doch vieles Bewährtes geblieben. Die erfolgreichen Bemühungen des Vorstandes bei der Stadt um eine Erneuerung der Straßen haben in den bisher fertiggestellten Straßen zu einer optischen Aufwertung und Steigerung des Wohnwertes in dieser Siedlung beigetragen.

Wenn wir heute nach 60 Jahren noch in einer Gemeinschaft leben, die mehr als 210 Mitglieder zählt, so bedeutet das eine immense Arbeit der Vorstände und ihrer Helfer. Muß einmal der Auftrag des Deutschen Siedlerbundes, nämlich die Beratung und Unterstützung der Siedler in Rechtsfragen, die die Siedlerstelle betreffen, erfüllt werden, so muß andererseits den Mitgliedern ein attraktives Gemeinschaftsleben angeboten werden. Aufgaben, die stets den Wandel der Generationen, der Interessen und der Auffassungen angepasst werden müssen.

Der heutige Vorstand kann stolz darauf sein, dass es immer gelungen ist, die Brücke zwischen nun schon drei Generationen zu schlagen.

M. Höhne

Das Ehepaar Ullrich hat freundlicherweise Bild 2, 3 und 4 zur Verfügung gestellt. Bild 1: Schulz