Historie

"Kolonie" war die erste Keimzelle

Espelkamp Gestern & Heute (11): Das Barackenlager westlich der Muna

Espelkamp. Als Modellstadt ist Espelkamp einst konzipiert worden und die
Frucht einer beispielhaften und in Deutschland einmaligen Zusammenarbeit
zwischen Besatzungsbehörden, Kirche und vielen privaten
Hilfsorganisationen. Die NW stellt in der Serie "Gestern & Heute" die Reste
des "alten" Espelkamp vor und weist auf die heutige Nutzung hin. Westlichen
der einstigen Heeres-Munitionsanstalt gelegen war ein Barackenlager, aus
dem in der Nachkriegszeit die "Kolonie" entstand.

Das gegenüber den Barackenlager "Hedrichsdorf" wesentlich größere und rund
700 Meter westlich der Muna errichtete Barackenlager wurde von 1939 bis
1943 in drei Bauabschnitten errichtete. Es hatte etwa eine Größe von 6,6
Hektar, war für bis zu 2.000 Arbeiter konzipiert und entsprechend gut
ausgestattet. In ihm sollten bei Inbetriebnahme der Kampfstoff-Füllanlage
die dort tätigen Arbeiter untergebracht werden. Geplant war, dass die
Arbeiter in Schichten von jeweils zwei Stunden mit Atemschutz
Giftgasmunition herstellen sollten. Da die Füllanlage nicht in Betrieb
gegangen ist, war das Lager später nie voll belegt.

Von 1939 bis 1940 wurden die Baracken Nr. 39 bis 42 östlich und südöstlich
des heutigen Tannenbergplatzes errichtet, die Baracke Nr. 38 für die
Kommandantur folgte erst im letzten Kriegsjahr. Als zweiter Bauabschnitt
erfolgte 1941 und 1942 die Errichtung von sechs Doppelbaracken Nr. 22 bis
33 und dazu die Sanitärbauten mit den Nummern 43 und 44 sowie 50 bis 52.
1942 und 1943 wurden als dritter Bauabschnitt sieben Doppelbracken,, Nr. 1
bis 14, das massive Wirtschaftsgebäude Nr. 533, ein Schießstand und
Sanitätsbaracken Nr. 45 bis 49 erstellt. Bei den Baracken 18 bis 21 dürfte
es sich um Abstell- und Lagerräume für Geräte und Ausrüstung gehandelt
haben.

Die ersten Baracken wurden im Sommer 1940 bis etwa 100 französischen
Kriegsgefangenen belegt, die Baracke Nr. 42 war die Wehrmachts-Wachbaracke.
Das Lager war bis zur Auflösung der Deutschen Wehrmacht unterstellt. Die
Gefangenen wurden als Hilfskräfte der deutschen Baufirmen bei Straßen- und
Kanalarbeiten in der Muna eingesetzt, bis diese im Sommer 1941 als
fertiggestellt angesehen wurde. Auch wurden die Franzosen zum Bau des
Abwasserkanals eingesetzt, der bei der Inbetriebnahme der Füllanlage
besonders von Nöten gewesen wäre und von der alten Kläranlage bis zur
Großen Aue reichte. Die Behandlung der Franzosen war korrekt; die
Verpflegung wurde als gut bezeichnet, zumal sie durch Lieferungen über das
Rote Kreuz aus dem Heimatland ergänzt wurde.

Etwa im Spätsommer 1941 wurde das Franzosenlager aufgelöst und
vorübergehend mit russischen Kriegsgefangenen belegt. Die Franzosen wurden
bei Bauern und auch im Lager-Stallgebäude Espelkamp Nr. 36 (Sudriede)
untergebracht.

Nach Fertigstellung des zweiten Bauabschnittes wurden bis zu 600 russische
Gefangene in die neu erstellten Baracken verlegt. Der Bereich wurde
eingezäunt, er war bis zum Kriegsende russisches Gefangenenlager. Sie
Russen wurden ebenfalls für Straßen- und Tiefbauarbeiten in der Muna und im
letzten Kriegsjahr auch für Verlade- und Transportarbeiten sowie auch für
Kanalbauarbeiten eingesetzt. Außerdem erfolgten Arbeitseinsätze in der
Landwirtschaft.

Es wird berichtet, dass es zu Misshandlungen der Gefangenen nicht gekommen
sei; jedenfalls sei kein Gefangener daran gestorben. Über die im Lager
gestorbenen Gefangenen ist wenig bekannt. Fest steht lediglich, das vom 27.
Juli 1942 bis 3. Mai 1943 im Lager 24 Russen gestorben sind und auf dem
Rahdener Friedhof beigesetzt wurden. Dort sind ihre Namen auf einer
Gedenktafel vermerkt, um ihnen ein ehrendes Andenken zu bewahren.

Die Russen wurden schlechter verpflegt als die Franzosen, wohl auch wegen
der schlechten Versorgungslage in den letzten Kriegsjahren. Meistens gab es
nur einfache Kartoffel-, Kohl- oder Rübengerichte neben den Brotrationen.
Daher wurden gerne heimliche Spenden von der Zivilbevölkerung oder auch vom
Wachpersonal entgegen genommen. Selbst offizielle Stellen versuchten, die
Ernährungslage der Gefangenen zu verbessern.

Dazu hat Willi Stockmann aus Frotheim berichtet, dass sein Vater ein
landwirtschaftliches Lohnunternehmen betrieb und ihm dafür zwei
Lanz-Trecker zur Verfügung standen. Im September 1941 sei er aufgefordert
worden, am Barackenlager eine größere Fläche urbar zu machen. Er bekam
Gutscheine, mit denen er ausreichend Benzin bei einer Tankstelle in
Gestringen bekam. Auf der kultivierten Fläche pflanzten russische Gefangene
Steckrüben, sie die acht Wochen später ernteten. Das wurde in den
Folgejahren wiederholt und trug zur Verbesserung der Verpflegungslage bei.

Stockmann berichtete weiter, dass einige Männer aus Frotheim in der Muna
dienstverpflichtet gewesen seien und dafür von der Wehrmacht Geld bekommen
hätten. Reinhold Hußmann erzählte später, dass zu diesen Männern auch sein
Vater Heinrich gehört habe, der wegen eines Herzfehlers vom Kriegsdienst
befreit war. Einigen von den Männern seien je zehn Russen zugeteilt worden,
die unter Aufsicht die oben genannten Arbeiten verrichten mussten. Dabei
hätten die Frotheimer und auch andere Dienstverpflichtete gemerkt, dass die
Russen entgegen der NS-Propaganda keine Unmenschen waren; sie seien sich
menschlich näher gekommen. Viele hätten den Russen begehrte Lebensmittel
mitgebracht, Kartoffeln, Fett, Speck, Salz und Zwiebeln. Geschickte Rissen
hätten Spielzeug hergestellt und dieses dann gegen Brot getauscht.

50 Männer einer Wach- und Schließgesellschaft waren für die Bewachung der
Muna und die Kontrolle am Zaun zuständig. Chef der sogenannten "Blauen
Wache" war der Frotheimer Heinrich Möhle. Er sorgte oft dafür, dass den
Frotheimern gute und reichlich Leute zur Verfügung gestellt und dass die
Kontrollen nicht allzu genau durchgeführt wurden.

In den späten Sommer- und Herbstmonaten holten sich Frotheimer Bauern an
den Sonntagen jeweils etwa 14 Russen aus dem Lager zum Dreschen und
Kartoffellesen. An den besagten Tagen standen die Gefangenen schon am
Lagertor. Weil sie gut verpflegt wurden, verrichteten sie gerne diese
Arbeiten. Auch sorgten die Bauern dafür, dass die Kontrollen nicht so
streng waren oder das die Wachleute wegsahen.

In die Baracken des dritten Bauabschnittes zogen dann 14- bis 17-jährige
Jugendliche ein, die in dem sogenannten Wehrertüchtigungslager der
Hitlerjugend vormilitärisch ausgebildet wurden. Im Spätsommer wurden die
Baracken 36, 37 und 39 bis 41 mit Leuten der Waffen-SS-Einheit
"Leibstandarte Adolf Hitler" zur Auffrischung und Ausbildung belegt. Über
diese Einrichtungen wird später mehr zu berichten sein.

Nach der Besetzung des Lagers am 4. April 1945 durch die 2. Britische Armee
wurden die Russen in ein Sammellager nach Osnabrück gebracht. Ein Teil der
Baracken wurde nach gründlicher Säuberung und Desinfektion kurzfristig von
britischen Militäreinheiten belegt. Im Juni 1945 wurden die ersten
Flüchtlinge aus dem Osten und Evakuierte vom Quartieramt des Kreises
Lübbecke in die Baracken eingewiesen.

Heinrich Drake Siedlung gestern

HDS 1959
© HDS

und Heute
HDS 2022
© HDS

Sechs Familien in einer Baracke

Espelkamp Gestern & Heute (12): Bescheidene Anfänge in der "Kolonie"


Espelkamp. Espelkamp war einst als Modellstadt konzipiert und die Frucht
einer beispielhaften und in Deutschland einmaligen Zusammenarbeit zwischen
Besatzungsbehörden, Kirche und vielen privaten Hilfsorganisationen. Die NW
stellt in der Serie "Gestern & Heute" die Reste des "alten" Espelkamp vor
und weist auf die heutige Nutzung hin. Westlich der einstigen
Heeres-Munitionsanstalt gelegen war ein Barackenlager, aus dem in der
Nachkriegszeit die „Kolonie“ entstand, wie in der Folge 11 bereits
berichtet. Bereits in den ersten Nachkriegsmonaten zogen die einstigen
Flüchtlinge in die Baracken, in denen zuvor Kriegsgefangene untergebracht
waren. Karl-Heinz Hentschel setzt seinen Bericht fort:

Wie bereits im ersten Teil berichtet, war das Lager nie voll belegt
gewesen. Als die Baracken des dritten Bauabschnitts fertig waren, zogen
deshalb Jugendliche ein. Sie wurden in dem sogenannten
Wehrertüchtigungslager der Hitler-Jugend vormilitärisch ausgebildet und
benutzten auch den Schießstand, der sich im zweigeschossigen Steinhaus im
Erdgeschoss befand. Im Obergeschoss wohnte der Lagerleiter.

Im Hinblick auf Wehrertüchtigungslager und Muna teilte mir der Lübbecker
Stadtheimatpfleger Günter Niedringhaus im Februar 2010 mit, er sei in den
letzten Kriegsjahren HJ-Führer in Lübbecke gewesen und nach der Invasion
der Alliierten in der Normandie 1944 von seinem Vorgesetzten zu einer
Lagebesprechung in die Muna beordert worden. Dort sei darüber beraten
worden, wie die Muna geschützt werden könne, weil die Heeresleitung stark
eine Luftlandeaktion zwecks Einnahme der Muna befürchtete. Es habe ja nur
verhältnismäßig weit entfernt schwache Garnisonen in Minden und Diepholz
gegeben.

Beschlossen worden sei, dass die Jugendlichen auch verstärkt an
Maschinengewehren (MG) ausgebildet und Schützengräben um die Muna
ausgehoben werden. Weiterhin sollten Stellungen mit Flakgeschützen
(Flugabwehrkanonen) um die Muna ausgebaut werden, die zum Teil mit älteren
Schülern besetzten werden sollen. Dazu ist es aber nicht mehr gekommen.

Im Juni kam Erich Schäfer, geboren September 1929, wohnhaft in Stuhr bei
Bremen, und teilte mit, das er mit einem Freund aus Haste Ende Februar 1945
als 15-Jähriger ins Wehrertüchtigungslager eingezogen worden sei. Die
Verpflegung im mit etwas 60 Jungen belegten Lager sei ausreichend gewesen.
Ihre Grundausbildung sei von einem Offizier der Leibstandarte Adolf Hitler
geleitet worden. Sie hätten das Marschieren, den Umgang mit MG, Schießen
mit Kleinkalibergewehr auf dem Schießstand und mit der Panzerfaust am
Bahndamm und in einem Steinbruch nahe Lübbecke sowie an einem eingegrabenen
Panzer am Waldrand nahe des Lagers geübt.

Frei gewordene Plätze im Lager seien mit Volkssturmleuten besetzt worden,
von denen mehrere an Stöcken gingen. Er selbst habe großes Glück gehabt,
weil er nicht mehr in den Kampf musste.

Die Jugendlichen wurden bei Auflösung des Lagers am 3. April 1945
entlassen. Von der Waffen-SS-Einheit sollen noch kurz vor der Besetzung
durch alliierte Truppen zwei fahnenflüchtige SS-Leute erschossen worden
sein (in anderen Berichten soll es sich um einen Mann beziehungsweise drei
Männer der SS gehandelt haben). Auch diese Truppe hat sich am 3. April über
Rahden nach Nordosten abgesetzt.

Sowohl das Wehrertüchtigungslager als auch die SS-Einheit hatten nichts mit
dem Geschehen in der Muna und auch nichts mit der Bewachung der russischen
Gefangenen zu tun. Da die die Dorfschulen rund um die Muna von Oktober 1944
bis Mitte Januar 1945 mit SS-Einheiten belegt waren, ist anzunehmen, dass
dass diese eine Einnahme der Muna durch Luftlandetruppen verhindern
sollten.

Das im dritten Bauabschnitt errichtete zweite massive Gebäude (Nr. 53) war
das Wirtschaftsgebäude aller im Barackenlager angesiedelten Institutionen.
Die russischen Gefangenen holten ihr Essen in Gulaschkanonen von dort ab
und marschierten über die heutige Koloniestraße durch das Südtor in die
Muna zur Arbeitsleistung.

Nach der Besetzung am 4. April 1945 und vor der Einweisung der ersten
Flüchtlinge und Evakuierten im Juni 1945 waren vom Lager noch zwölf
Doppelwohnbaracken, acht Einzelbaracken, vier Wasch- und acht Abortbaracken
vorhanden. Außerdem das kleine zweigeschossige Steinhaus, in dem nach dem
Krieg der Art, Zahnarzt und Kiefernspezialist Dr. Berg wohnte - der erste
praktische Arzt in Espelkamp. Später kaufte der Amtsbote Adolf Janigk
dieses Haus und baute es weiter aus.

In dem ehemaligen Wirtschaftsgebäude verkaufte nach dem Krieg Walter
Depping für die Nettelstedter Firma Klostermann & Diekmann Lebensmittel.
Danach erwarb August Jedamski das Gebäude und eröffnete neben dem
Lebensmittelgeschäft im großen Saal eine Gastwirtschaft, Tannenbergkrug
genannt.

Die großen Baracken wurden vom Kreis Lübbecke so hergerichtet, dass in
ihnen sechs Familien untergebracht werden konnten. Bereits am 1. Januar
1946 wohnten in der Kolonie in 92 Haushaltungen 396 Menschen, am 1. Januar
1948 waren es in 134 Haushaltungen 607 Menschen. Viele Lagerinsassen, die
später noch in Espelkamp führende Aufgaben übernommen haben, gehörten der
von der Kreisverwaltung aufgestellten Arbeitskolonne an, unter anderem
Alfred Siebert und Wilhelm Kern.

Im Oktober 1946 wurde in der Baracke 12 eine einklassige Volksschule
errichtet, die bis zum Einzug in die Ernst-Moritz-Arndt-Schule 1957
bestehen blieb. Der Schulraum wurde bis zum Einzug in die Michaelskirche
1956 auch als Kirchraum genutzt.

Die Kolonisten wählten im Sommer 1946 einen Flüchtlingsausschuss, der für
die gerechte Verteilung der zugewiesenen Bekleidung und
Haushaltsgegenstände sowie der Spenden sorgte. Durch einen Zuschuss der
Landesregierung von 30.000 D-Mark (für damalige Verhältnisse viel Geld)
wurden die Baracken wohnlicher gestaltet und dadurch das Leben erträglicher
gemacht. Viele der Kolonisten bauten sich eine eigene Existenz auf.

Als die Rückkehr in die alte Heimat in immer unerreichbarere Ferne rückte,
wünschten sich viele der Kolonisten ein festes Haus. In der Kolonie sollte
nicht gebaut werden; die Kolonisten sollten sich für das einstige
Muna-Gelände bewerben. Nach schweren Auseinandersetzungen wurde es durch
die Fürsprache des Regierungspräsidenten Drake möglich, dass 23
Siedlungshäuser errichtet werden durften. Die Siedler gaben deshalb 1952
dem Baugebiet den Namen Heinrich-Drake-Siedlung. Im selben Jahr wurden die
ersten Baracken für den Bau von Siedlungshäusern im Osten abgerissen. Nach
der Errichtung von Kirche und Schule wurden die letzten Baracken entfernt.
Die Bevölkerungszahl hatte stetig zugenommen, und es waren schöne

Einzelhäuser und Wohnblocks gebaut worden.

Im Anschluss noch einige Artikel im PDF Format zum herunterladen

Vorsitzende mit Bildern.pdf (572.7 KB, PDF-Datei)
Karl Röbelt Bericht EN.pdf (535.1 KB, PDF-Datei)
NW Bericht 12.09.15.pdf (173.6 KB, PDF-Datei)
NW Bericht 19.09.15.pdf (193.0 KB, PDF-Datei)
NW Bericht 06.02.2016.pdf (133.7 KB, PDF-Datei)
NW Bericht 11.02.2016.pdf (165.6 KB, PDF-Datei)
LK-LOK-11 kömp.pdf (1.2 MB, PDF-Datei)
NW-70jahre.pdf (518.0 KB, PDF-Datei)
NW1-70jahre.pdf (505.2 KB, PDF-Datei)

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