"Solar ist eine Droge" Solarprojekt in der VWE-Interessengemeinschaft Hinsbergstraße

Juli 2023

Zwischen der ersten Idee und der Montage liegen Monate - und sehr viel Kopfzerbrechen. Holger Jaenecke hat nach einem ersten Rundgang durch die Wuppertaler Siedlung einen Kaffee gekocht, die Unterlagen liegen schon parat. Jetzt erzählt er von einem besonderen Projekt in der VWE-Interessengemeinschaft Hinsbergstraße: Die Nachbarschaft hat sich gemeinsam an das Thema Solardach herangetastet. Mit Praxistipps am Ende des Artikels.

Männliche Person zeigt ein Solarmodul
Ein Projekt in der Gemeinschaft stemmen: Für Holger Jaenecke hat das viele Vorteile.   © Ahmerkamp/VWE
Den Auslöser für die Idee kann der 55-jährige Wuppertaler ganz genau benennen: "Das war der Ukraine-Krieg und das Gefühl, wir müssen jetzt dringend etwas tun, so kommen wir nicht durch den Winter. Wir sind mündige Bürger und jeder sollte den Beitrag leisten, den er stemmen kann". In der Nachbarschaft hatte er in Gesprächen herausgehört, dass auch andere schon einmal über das Thema nachgedacht hatten, "aber da fehlte immer die Zeit, sich darum zu kümmern."

Solardach: Viel Recherche

Also machte Holger Jaenecke einfach mal den Anfang. Vielleicht fühlt er sich auch ein bisschen verantwortlich, weil er - bis auf zwei Jahre "auswärts" - seit 1970 ununterbrochen in der Siedlung lebt, heute im Reihenhäuschen neben seinem Elternhaus. Ein Interesse an ökologischen Themen kommt dazu.

Jaenecke gründete als erstes eine WhatsApp-Gruppe - die erste Nachricht im Chat datiert auf den 2.8.2022 - und führte viele persönliche Gespräche. Auf die erste konkrete Frage dann, wer bei dem Projekt Solardach mitmachen möchte, meldeten immerhin 13 von 26 Familien Interesse an. Stolz ist Jaenecke besonders auf die Offenheit einer 80-jährigen Nachbarin: "Wenn ich sehe, dass das alles funktioniert, kann ich auch mitmachen."

Nächster Schritt: eine ausführliche Internetrecherche nach Anbietern. Mit Unterstützung aus der Nachbarschaft wurden verschiedene Angebote eingeholt. Auch nach Mietmodellen haben die Wuppertaler sich erkundigt, "aber da kamen direkt die Absagen, dafür sind unsere Dächer zu klein". Generell sieht er fremdfinanzierte Anlagen auch eher kritisch, weil sie meist deutlich teurer sind als eine selbst gekaufte Anlage.

Die Kosten

Der Preis? "Gerechnet haben wir mit insgesamt 10. bis 15.000 Euro", erklärt Jaenecke. Als dann das erste Angebot in Höhe von 30.000 Euro ins Haus flatterte, hätten viele sofort die Reißleine gezogen - zu teuer. "Vor allem diejenigen, die ihr Haus gerade erst gekauft hatten und noch Kredite abbezahlen", zeigt der 55-Jährige Verständnis und verweist auf die inzwischen horrenden Preise für die Reihenhäuschen in der Anfang der 1970er Jahre als sozialer Wohnungsbau errichteten Siedlung, "heute zahlst du das Doppelte wie noch vor sieben Jahren".

Das Gerüst wird aufgestellt, um die Solarmodule zu installieren.
Das Gerüst wird aufgestellt, um die Solarmodule zu installieren.   © Ahmerkamp/VWE
Bei der Stange geblieben sind letztlich sechs Familien. Verschiedene Angebote wurden verglichen, den Zuschlag bekam letztlich ein Wuppertaler Unternehmen. Den Beteiligten war es wichtig, eine Firma aus der Region auszuwählen. Im Dezember 2022 wurden die Verträge unterschrieben. Jaeneckes Erfahrung: "Die Beratungen der Unternehmen sind insgesamt gut, wenn jemand nicht viel Vorwissen mitbringt. Wer sich aber schon selbst intensiv mit dem Thema beschäftigt hat und beispielsweise das perfekte und wirtschaftlichste Modell haben möchte, eventuell auch mit Erweiterungsmöglichkeiten, der kommt schnell an Grenzen".

Eine weitere Erfahrung, die er gemacht hat: Es braucht durchaus einen langen Atem und Frustrationstoleranz, weil es immer wieder Überraschungen gibt. "Mir ist zum Beispiel ein Angebot bestätigt worden. Vier Monate später kam dann die Rückmeldung: Das kriegen wir so nicht aufs Dach. Dann passte natürlich meine Wirtschaftlichkeitsberechnung nicht mehr, das Angebot war ja die Entscheidungsgrundlage gewesen", erzählt Jaenecke.

Weniger Strom lange über den Tag verteilt produzieren

Nach viel Vorarbeit war es Ende April endlich soweit. Bei dem Wuppertaler sind auf dem Dach Richtung Osten acht Solarmodule in Südausrichtung installiert worden, auf dem Westdach elf Module. Durch die Aufständerung erhöht sich die Leistung der Module etwas. Ist ein Ost-West Dach denn nicht weniger geeignet als ein Süddach? "Klar, die Sonne ist hier nicht so intensiv wie auf der Südseite. Aber was nützt es mir, wenn ich in der Mittagszeit viel Strom produziere und einspeisen muss, für die Einspeisung bekomme ich nur 8,2 Cent/kWh. Deshalb produziere ich lieber weniger aber lange über den Tag verteilt, so dass ich möglichst wenig aus dem Netz beziehen muss."

Mit realistischen Verbräuchen planen

Denn im Gegensatz zu früheren Anlagen, die sich teils alleine über die Einspeisevergütung finanzierten, rechnen sich heute kleinere Anlagen in der Regel nur durch den Eigenbrauch. Jaenecke rät, hier aufzupassen: "Je höher der Jahresverbrauch angenommen wird, um so wirtschaftlicher wird natürlich die Anlage auf dem Papier. Damit rechnen manche Anbieter die Anlage schön. Also sollten nur realistische Verbräuche in die Berechnung eingehen und lieber noch eine Vergleichsrechnung erstellt werden, wie es aussieht, wenn beispielsweise ein E-Auto oder eine Wärmepumpe dazu kommt."

Pro Jahr soll seine Dachanlage 5.200 Kilowattstunden Strom erzeugen, rechnet Jaenecke. Er würde damit einen Autarkiegrad von 61,7 % erreichen, sein Eigenverbrauchsanteil bei 54 % liegen. Aber: "Diese Werte lassen sich durch Anpassung meiner Verbrauchsgewohnheiten deutlich optimieren", sagt er.

So haben die Wuppertaler sich für Glas-Glas-Module entschieden, die "bifacial" arbeiten, d. h. die eingesetzten Solarzellen können auch die Sonnenenergie in Solarstrom umwandeln, die auf die Rückseite des Moduls fällt. Das erhöht den Wirkungsgrad des Solarmoduls und damit den Stromertrag. "Das ist wichtig, wenn man wenig Fläche zur Verfügung hat", erläutert er, außerdem seien die Module langlebiger. Für Gemeinschaften ein interessanter Aspekt: Dadurch, dass sechs Haushalte Solarmodule bestellt haben, konnte ein Rabatt von 4 % ausgehandelt werden. Entschieden hat er sich außerdem für einen Speicher (Lithiumeisenphosphat) und eine Notstrombox, "ich wollte so unabhängig sein wie möglich".

Steckersolargeräte im Garten

Darum hat er Solarmodule nicht nur auf dem Dach, sondern in seinem Gärtchen noch zwei Steckersolargeräte mit einer Leistung von 1,2 Kilowatt installiert, für viele der Einstieg in das Thema. Neben bürokratischen Fallstricken findet er insgesamt, dass das Thema Solar noch optimiert werden kann. Angefangen von einer Zuschussförderung durch Land oder Kommune bis zu offenen Systeme, die nicht nur mit den eigenen Komponenten funktionieren. "Meine Wallbox beispielsweise spricht nicht mit meinem System", erklärt er. Aber trotz- und alledem hat ihn das Thema gepackt: "Solar ist eine Droge, super spannend und jeden Tag gibt es neue Entwicklungen."

Solar für das Dach: Tipps für Nachahmer

  • Sich einen Überblick verschaffen und ausrechnen: Wieviel zahle ich an Strom bei meinem Verbrauch etwa in den kommenden 20 Jahren?

  • Für die Planung in der Gemeinschaft ein Projektteam bilden - es ist sinnvoll, die Arbeit auf mehrere Schultern zu verteilen.

  • Sich klarwerden, was gewünscht ist: Wollen die Beteiligten größtmögliche Autarkie erreichen? Oder reicht eine Standardlösung, weil nur die Stromrechnung verkleinert und ein Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden soll? Gibt es spezifische Anforderungen?

  • Bei Interesse an Balkonkraftzwerken gemeinsam bestellen um Kosten zu sparen (Versand) und ggf. gemeinsam aufbauen.

  • Auftragsbestätigungen und Rechnungen genau prüfen, hier schleichen sich vielfach Fehler ein. Auch hier empfiehlt sich ein Team: mehr Augen finden mehr Fehler.

  • Wenn finanziell möglich, einen Speicher in die Planung einbeziehen.

  • Enge Abstimmung mit ausführender Firma und Messstellenbetreiber, damit für alle Projekte gemeinsam Stromzähler im Idealfall vor Installierung der Anlage, eingebaut werden können. Es scheint nicht einfach, die beteiligten Parteien zusammenzubringen. Dabei sollte es für den Messstellenbetreiber, die Solarfirma und den Endkunden eine Win-Win Situation sein, wenn der Aufwand gebündelt wird und am Ende die Anlagen ohne Verzögerung in Betrieb genommen werden können.

  • Einen regionalen Anbieter wählen. Preise sind verhandelbar.

  • Holger Jaenecke empfiehlt den YouTube-Kanal Bürger-Energiewende für diejenigen, die das Thema Solar selbst in die Hand möchten.


Katrin Ahmerkamp

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