Recycling

Vom Recycling zum Upcycling

Bessere Zukunft im Kreislauf: Wiederverwertung muss nicht heißen, dass alle Produkte zum Wegschmeißen sind. Zehn Thesen zur Zukunft des Qualitäts-Recyclings

Das Ziel der „Nachhaltigkeit“ ist angesichts von Klimawandel und Ressourcenknappheit, von giftigen, gesundheitsgefährdenden Materialen und falschen linearen Produktionsprozessen viel zu niedrig gesteckt. Nachhaltigkeit, so wie wir sie heute verstehen, bedeutet Verzicht und Einschränkung, bedeutet, weniger schädlich zu sein. Weniger Auto fahren, weniger Strom verbrauchen, weniger konsumieren.
Doch das ist höchstens eine passable Übergangsidee hin zu einem Design-, Kultur- und Gesellschaftskonzept, in dem wir positive Ansätze formulieren. Nicht weniger schädlich, sondern nützlich zu sein heißt das Ziel. Recycling ist ein wichtiger Aspekt in einem solchen positiven Design-Konzept. Darin gibt es keine Abfälle mehr, sondern nur noch Nährstoffe. Wir müssen in Kreisläufen denken.
Die Natur ist ein perfektes Recyclingsystem. Dort gibt es keinen Prozess von der Wiege bis zur Bahre(„from the cradle to the grave“). Stattdessen werden Lebenszyklen in andere Lebenszyklen integriert. Was für den einen Zyklus nutzlos geworden ist, wird für einen anderen nützlich. Dieses Kreislaufdenken ist das zentrale Element im Cradle-to-Cradle-Design-Konzept („von der Wiege zur Wiege“), das der US-Architekt William McDonough und ich entwickelt haben.
Zu diesem neuen Design-Denken gehört ein Upcycling-Konzept, das sich mit Verlusten nicht abfindet, sondern das es schafft, aus einem Produkt gleich- oder Höherwertige Produkte oder Komponenten herzustellen. Nur qualitativ hochwertiges Recycling-Upcycling eben ist echte Wiederverwertung.
Deutschland ist gerade dabei, eine neue EU-Abfallrahmenrichtlinie in deutsches Recht umsetzen. Die Novelle des Kreislaufwirtschaftsgestzes sieht vor, dass 65 Prozent der Siedlungsabfälle bis 2020 recycelt werden sollen, 70 Prozent der Bau- und Abbruchabfälle sollen stofflich verwertet werden. Völlig unzureichend ist in dem Gesetzesentwurf das formuliert, was die Voraussetzung für echtes Recycling ist. Unter §23, Prodruktverantwortung, heißt es: „Erzeugnisse sind möglichst so zu gestalten, dass bei ihrer Herstellung und ihrem Gebrauch das Entstehen von Abfällen vermindert wird und sichergestellt ist, dass die nach ihrem Gebrauch entstandenen Abfälle umweltverträglich verwertet oder beseitigt werden.“ Es zeigt sich zweierlei: a)Aus diesem Satzgehen keine Verpflichtungen Hervor. Produkte recycelfähig zu gestalten, und b) das Konzept von Vermeidung und Minderung ist nicht überwunden.

1. Recycling steht nicht am Ende, sondern am Anfang einer Produktentwicklung

Produkte zu konzipieren und sich keine Gedanken darüber zu machen, wo das Produkt bleibt, wenn sein eigentlicher Gebrauchszweck erfüllt ist, das ist eine Herangehensweise, die kein funktionierendes Recycling nach sich ziehen kann. Im Zweifel sind Materialien vermischt
Worden, die sich nicht trennen lassen, oder Stoffe verwendet worden, die die Gesundheit gefährden. Recycling ist also keine Aufgabe für Entsorgungsfirmen, sondern für Produktdesigner und Ingenieure, die ein neues Produkt entwickeln. Um dahin zu kommen, muss sich eine neue Unternehmenskultur durchsetzen. Besonders in den Niederlanden, aber auch in Deutschland, den USA, Österreich und anderen Ländern auf der Welt arbeiten Unternehmen bereits nach der Cradle-to- Cradle- Philosophie und stellen teilweise ihre gesamte Produktion darauf um. Das geht einher mit erheblichen Änderungen in den Abläufen eines Betriebes. Im Zweifel müssen Lieferanten gewechselt werden, oft wird die Inhalteliste von Produkten erheblich ausgedünnt.

2. In der Recyclingfähigkeit zeigt die Qualität eines Produkts

Downcycling ist kein Funktionierendes Recycling. Wenn ein Material nach dem Recycling nicht mehr in der Qualität verarbeitet werden. kann, die es zuvor hatte, dann lässt sich kein Recycling- Kreislauf erstellen, sondern nur eine Recycling-Abwärtsspirale. Das gilt nicht nur für Kunststoffe, die vom Grundpolymertyp her nicht für Recycling geeignet sind oder deren Aufbereitungsverfahren nicht ausgereift ist. Es gilt auch für Papier, das beim Recyclingprozess an Faserlänge verliert und das auch nicht mehr rein von Druckfarben und Hilfsmitteln ist und darum nicht endlos aufbereitet werden kann. Ein wertvolles Produkt ist demnach nur ein Produkt, das vollständig recycelfähig ist, ohne an Qualität zu verlieren. Das bedeutet, dass es keine schädlichen Inhaltsstoffe haben darf oder dass womöglich gesundheitsschädliche Inhaltsstoffe den Produktkreislauf nicht verlassen dürfen.

3 Recycling funktioniert in biologischen Kreisläufen

Das Cradle-to-Cradle-Design-Konzept definiert ein System für die Herstellung von Produkten und industriellen Prozessen, das es ermöglicht, Materialien als Nährstoffe in geschlossenen Kreisläufen zu halten. Materialien von Produkten, die für biologische Kreisläufe optimiert sind, dienen als biologische Nährstoffe und können bedenkenlos in die Umwelt gelangen. Verbrauchsgüter, als beispielsweise Reinigungsmittel oder Textilien, können aus biologischen Nährstoffen gefertigt werden, sodass eine sichere Entsorgung dieser Produkte jederzeit gewährleistet ist. Wir können Kosmetika oder Stoffe heute aus 100 Prozent ökologischer Pflanzenproduktion herstellen. Heraus kommen zum Beispiel Haarlacke, die man trinken könnte, und T-shirts, deren Fasern man sich ins Müsli mischen kann.

4 Recycling funktioniert in technischen Kreisläufen

Das Cradle-to-Cradle-Design-Konzept beinhaltet zweiten geschlossenen Kreislauf für die Herstellung von Produkten und für industrielle Prozesse den technischen Kreislauf. Materialien von Produkten, die für geschlossene technische Kreisläufe konzipiert sind, dienen als technische Nährstoffe (zum Beispiel Metalle und verschiedene Polymere). Diese Materialien dürfen nicht in biologische Kreisläufe geraten.
Der technische Stoffwechsel-Kreislauf besteht aus künstlich gestalteten und aktiv gesteuerten Material strömen. Die Idee ist, industrielle Masse auf beständigem Qualitätsniveau in geschlossenen Systemen zirkulieren zu lassen. Die Geschlossenheit des Systems ist Grundvoraussetzung für die mögliche Verwendung toxischer Stoffe. Diese sind für einige Produkte wie beispielsweise Isolierfenster bisher unersetzlich. Die leichte Demontierbarkeit und die sorgfältige Materialauswahl eines Produkts sind ein wesentlicher Aspekt des Designs.

5 Ein Leasing-Service ist funktionierendes Recycling

Wir sind auf dem richtigen } Weg der Material-Verwendung, wenn wir als Verbraucher keine Waschmaschine mehr kaufen müssen, sondern nur noch 3.000 Mal Waschen. Oder wenn wir kein Fenster kaufen müssen, sondern 25 Jahre Durchschauen erwerben können. Oder wenn der Fernseher Eigentum des Herstellers bleibt und dieser uns nur eine bestimmte Anzahl von Betriebsstunden verkauft. Die Mengenbegrenzung macht das Prinzip für den Hersteller planbar. In einem Fernseher von heute steckenwertvolle Ressourcen und tausende schädliche Stoffe, die niemand wirklich kaufen will. Wenn Materialien Eigentum des Herstellers bleiben, würde er mehr Entwicklungsleistung in bessere Materialien und Materialrecycling stecken als jetzt, wo ihm die Rücknahme des Geräts als lästige Pflicht auferlegt wird.

6 Rohstoffe sind knapp, aber noch nicht knapp genug

Zumindest nicht knapp genug, um eine nennenswerte Zahl von Firmen zur Schaffung von Material-Pools zu bewegen. Wenn man aber sieht dass selbst in arbeitsintensiven Branchen wie der Autoindustrie die Materialkosten im Verhältnis zu den Arbeitskosten immer höher werden, dann ist es höchste Zeit, an Material-Pools zu denken. Sie sind sogar eine Chance für die Produktion in Europa, weiterhin mit den Billiglohnländern mithalten zu können beziehungsweise wieder wettbewerbsfähig zu werden.
Damit Rohstoffe dauerhaft genutzt werden können, gibt es erste Firmen – wiederum besonders in den Niederlanden -, die sich zu einem Netzwerk zusammenschließen und sich basierend auf dem Cradle-to-Cradle®- Konzept mit Rohstoffsicherheit befassen..
Material-Pools können thematisch geordnet und organisiert werden. Die knappen Stoffe müssen kategorisiert werden – zum Beispiel als die Bereiche Seltene Erden, chemische Elemente, Massenware wie Glas oder Stahl, aber auch Humus für die Agrarwirtschaft. Schon heute zeigt sich, dass Materialpartnerschaften wirtschaftlicher sein können als der Einkauf von Rohstoffen. Dieser Ansatz wird innerhalb der kommenden zehn Jahre überlebenswichtig sein für Firmen in Ländern, die keine eigenen Rohstoffe besitzen.

7 Gutes Recycling ist auch eine Frage der Technik

Gutes Recycling ist also nötig, um die Materialsicherheit für Firmen herzustellen. Auch das ist verbunden mit Produkten, die von Anfang an neu gedacht sind. Klebestoffe sind zum Beispiel hinderlich dabei, Produkte leicht wieder demontieren zu können. Inzwischen aber gibt es Klebeverbindungen, die sich bei rund 80 Grad Celsius wieder auflösen, sodass das geklebte Produkt wieder in seine Bestandteile zerfällt.
Auch die Außenfassade mit dem Mauerwerk per Klick-System und ohne Mörtel ist ein Ansatz mit völlig neuer Technik. Oder die Entwicklung von Funk-Lichtschaltern, die auf Kabel verzichten können und somit wertvolle Rohstoffe wie Kupfer gar nicht erst benötigen. Recycling braucht kreative Ingenieure. Und wenn findige Entwickler die Möglichkeit haben, Produkte neu zu denken, dann erfinden sie sogar Produkte, die nicht nur nicht schaden, sondern sogar nützlich sind. Der Teppichhersteller Desso beispielsweise hat Fasern entwickelt, welche die Innenraumluft von Feinstaub reinigen. Das ist in Zeiten von massiv gedämmten Häusern mit wenig Luftaustausch geradezu unerlässlich. Das Unternehmen nimmt die gebrauchten Teppiche zurück.

8 Recycling-Produkte haben keinen second-hand-touch mehr

Es ist Fluch und Segen zugleich, dass Produkte aus Recycling-Materialien heute genauso hochwertig aussehen wie Produkte aus jungfräulichen Materialien. Fluch, weil jemand, der Gutes tun will, es mit seinem Einkauf nicht mehr offensichtlich zeigen kann. Segen weil nunmehr auch Menschen mit hohem Qualitätsanspruch auf Recycling-Produkte zurückgreifen, da „second-hand“ für breite Bevölkerungsschichten salonfähig wird. Philips hat einen Fernseher entwickelt, der unter anderem auf bromhaltige Flammschutzmittel verzichtet, PVC verbannt hat und zu großen Teilen aus wieder aufbereitetem Aluminium besteht. Dieser Fernseher ist ein Qualitätsprodukt.
Entwicklungen wie diese zeigen, dass der Ansatz von Sparen und Verzichten unnötig, wenn wir nur das Richtige tun. Menschen müssen Luxus und Qualität nicht aufgeben, sie können verschwenden, aber sie müssen es intelligent tun.

9 Müllverbrennung, also „Thermische Verwertung“, ist kein Recycling

Ein Produkt einer „ thermischen Verwertung“ zuzuführen ist dumm. Das, was heute “thermische Verwertung“ genannt wird, ist schlicht das Verbrennen von Materialien. Es gehen viel zu viele wertvolle Rohstoffe verloren. Nur ein Beispiel: In den Schlacken der Müllverbrennungsanlagen findet sich Kupfer im Millionenwert. Das Metall ist nutzlos geworden für hochwertige Produkte wie Elektrogeräte und endet vielleicht in Straßenbelägen oder auf der Deponie. Diese Art der Abfallbehandlung ist kein Recycling. Das Kupfer benötigen wir als Rohstoff im technischen Kreislauf, wo er grenzenlos zirkulieren kann.

10. Recycling ist eine Chance für kulturelle Entwicklung

Sich gut zu Fühlen, glücklich zu sein ist vielleicht die größte Triebfeder im Leben eines Menschen. Wir wollen gut sein, nicht schlecht und auch nicht weniger schlecht, als wir mal waren. Darum ist der Ansatz, einen ökologisch positiven Fußabdruck zu hinterlassen, jedem Menschen eigen. Die Mechanismen unsere Gesellschaft, die Grundsätze unserer politisches Systeme und die Interpretation von Nachhaltigkeit als Verzicht und Entbehrung haben aber dazu geführt, dass es den Menschen unmöglich erscheint ihr Leben so zu leben wie sie möchten, und trotzdem gut zu sein. In einer Welt jedoch, in der alle Produkte so konzipiert sind, dass sie förderlich für die Gesundheit und nützlich für andere Prozesse sind (und insofern ein Recycling immanent ist), in der es keine Qualitätseinbußen bei einer Wiederverwendung gibt und in der Rohstoffe nicht verbraucht werden, ist einökologisch positiver Fußabdruck ohne Entbehrungen möglich. Neben den Herausforderungen, die das Konzept für die heutigen und zukünftigen Planerund Ingenieure darstellt, ist es die große Aufgabe, eine gesellschaftliche Kultur zu schaffen, die diesen Gedanken zulässt und lebt.

Prof. Dr. Michael Baumgart ist wissenschaftlicher Direktor der EPEA. Internationale Umweltforschung GmbH in Hamburg, die er 1987 gründete. Seit 1994 lehrt Michael Baumgart Verfahrenstechnik an der Universität Lüneburg. Außerdem hält er seit 2008 einen Lehrstuhl am Dutch Research Institute for Transition (DRIFT) an der Erasmus Universität in Rotterdam.

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