Die Entwicklung des Siedlerwesens in Mönchengladbach

Von 1943 bis 1948

Im Sommer 1943 begannen Engländer und Amerikaner die westdeutschen Städte planmäßig zu bombardieren. Die Angriffe richteten sich fast ausschließlich gegen die Bevölkerung. Für die Städte Mönchengladbach und Rheydt kam der erste große Angriff in den frühen Morgenstunden des 31. August 1943.
Kurz vor 1.OOh kam Voralarm. Über Drahtfunk hörten wir, dass starke feindliche Bomberverbände nördlich von uns in Richtung Rhein flogen. Plötzlich sagte eine Frauenstimme im Radio: ,,Die Bomberverbände drehen nach Südwesten ab, voraussichtliches Ziel sind die Städte Gladbach und Rheydt“. Fast gleichzeitig wurde Vollalarm gegeben und leises, schnell stärker werdendes, Brummen der Flugzeugmotoren war zu hören.
Kurz vor zwei Uhr fielen die ersten Bomben. Knapp eine Stunde dauerte das Bombardement.
Als wir gegen drei Uhr unseren Bunker am Straßenrand von Rheydt verließen, stand unsere Stadt in Flammen, ein wahres Höllenfeuer, verbunden mit einem für uns damals unerklärbaren orkanartigen Sturm. Fast 1.000 Menschen verloren in den beiden Städten in dieser einen Stunde ihr Leben. Mehr als die Hälfte aller Wohnungen in den beiden Zentren waren zerbombt oder bis auf die Grundmauern ausgebrannt. Weitere Luftangriffe folgten.
Den wohl schlimmsten Angriff erlebte M.-Gladbach am 10. September 1944. Dabei wurde die Innenstadt fast vollständig zerstört. Weitere schwere Angriffe folgten im Dezember. Den letzten großen Angriff flogen britische Bomber am 25. Februar 1945, vier Tage bevor amerikanische Bodentruppen in die Trümmerlandschaft einmarschierten.
Während britische und amerikanische Bomber die Städte in Nord- und Westdeutschland zerstörten, brach im Osten die deutsche Front zusammen. Unaufhaltsam wälzte sich die Rote Armee auf die Reichsgrenze zu. Im Winter 1944/45 begann die große Flucht der Bevölkerung der deutschen Ostgebiete nach Westen. Die Opfer unter der Zivilbevölkerung waren unvorstellbar groß.

Kehren wir zurück nach M.-Gladbach.
Die Bilanz des Wahnsinns, die nach dem Einmarsch amerikanischer
Truppen am 1. März 1 945 gezogen werden konnte, war schrecklich:
• 1.267 Bürger hatten bei den Bombenangriffen ihr Leben verloren.
• 16.000 Wohnungen - ungefähr 42
Trotzdem, das Leben in den Trümmern musste weiter gehen, und es ging weiter.
Zum Hunger kam als 2. Überlebensproblem die unvorstellbare Wohnungsnot dazu. Direkt nach der Besetzung fiel dies noch nicht so sehr auf, denn in den letzten Wochen des Krieges waren noch tausende von Bürgern evakuiert worden. Die Zurückgebliebenen bezogen die noch bewohnbaren Wohnungen. Das änderte sich jedoch schlagartig, als im Mai - kurz nach Kriegsende - die ersten Rückkehrer aus den rechts-rheinischen Gebieten und aus der Evakuierung aus Mitteldeutschland in ihre ausgebombte Vaterstadt zurückkamen.
Im Juli 1945 wurde in der Stadtverwaltung auf Betreiben der Besatzungsmacht das Wohnungsamt eingerichtet. Es sollte freie Wohnungen vermitteln. Doch wo gab es solche? Die Wohnungsnot durch Bewirtschaftung zu lindern, war von vornherein eine nicht lösbare Aufgabe. Ebenso unmöglich war es, den Strom der Rückkehrer in geordnete Bahnen zu lenken. Das Wohnungsamt war damit genauso überfordert wie mit der Beschaffung von Baumaterial. Zum Rückkehrerproblem heißt es in der 1. Stadtverordnetensitzung am 12. Juli 1945:

„Der Rückwandererstrom soll möglichst gestoppt bzw. in die ländliche Umgebung abgeleitet werden, um einer verschärften Wohnungsnot-Katastrophe vorzubeugen.“

Mit Genehmigung der Militärverwaltung durften Bürger sich aus den Trümmern der Innenstadt Steine und anderes noch verwertbares Baumaterial zur Ausbesserung ihrer eigenen Wohnung holen.
In der Innenstadt begann man damit, die Straßen von Trümmern und Schutt zu räumen. Da die meisten Männer noch nicht aus Krieg und Gefangenschaft zurück waren, wurde dies überwiegend von Frauen verlangt. Der Begriff „Trümmerfrauen“ entstand. Noch stehende Hauswände ausgebrannter Häuser wurden gesprengt. Neben den wenigen in der Stadt noch vorhandenen Lastwagen - ausschließlich mit Holzgasantrieb - wurden die Bauern der umliegenden Dörfer herangezogen, den Schutt abzufahren.
Die Rückkehr zu einigermaßen normalen Verhältnissen vollzog sich nur sehr schleppend und mit unvorstellbaren Schwierigkeiten.
Das änderte sich auch nicht, als am 13. Oktober 1946 die erste freie Kommunalwahl durchgeführt worden war. Im Gegenteil, die Situation auf dem Wohnungsmarkt verschlechterte sich von Monat zu Monat durch das Heer der Ostflüchtlinge und Vertriebenen, die aufgenommen werden mussten. Die meisten von ihnen hatten auf der Flucht vor den Russen nur das nackte Leben retten können. Auch diese Menschen brauchten, wie die vielen Ausgebombten, ein Dach über dem Kopf.

Die erste Selbsthilfe-Siedlergemeinschaft
in unserer Stadt wird gegründet

Unter der kritischen Aufsicht der Siegermächte begann Ende 1945 neues politisches Leben in unserer Stadt. Die politischen Parteien bildeten sich wieder. Männer - überwiegend aus der katholischen Arbeiter¬bewegung kommend - gründeten im Januar 1946 die CDU, eine Partei, die sich im Untertitel „Partei der Arbeit“ nannte.
Wilhelm Elfes, kurz nach dem Einmarsch der Amerikaner von diesen als Bürgermeister eingesetzt, war einer der Mitbegründer. War das Zentrum vor 1933 eine rein katholische Partei, so wollten die Gründer der CDU alle christlichen Kräfte unseres Volkes zusammenfassen.

Den Frauen und Männern der ersten Stunde war klar: neben dem Hunger war die unvorstellbare Wohnungsnot das Problem, das vordringlich gelöst werden musste. Ein kleiner Kreis politisch aktiver Männer, geprägt von der Arbeit im „Volksverein für das katholische Deutschland“, war davon überzeugt, durch den Bau von Familienheimen in Gruppenselbsthilfe die schlimmste Wohnungsnot bekämpfen zu können. Die Selbsthilfe-Siedlergemeinschaften der späten 20er Jahre wurden wiederentdeckt.

An die Spitze dieser Bewegung in unserer Stadt setzten sich zwei CDU-Ratsherren aus Mönchengladbach-Holt, Johann Lenzen und Gerhard Klein.

Ihnen gelang es, Oberbürgermeister Elfes für ihre Ideen zu gewinnen. Im Sommer 1946 holte Elfes den Siedlervater Nikolaus Ehlen aus Velbert zu einem Vortrag über Selbsthilfegruppesiedlungen nach Mönchengladbach.
In der Aula der Oberrealschule (heute Mathematisch-Naturwissenschaftliches Gymnasium) sprach Dr. Ehlen vor mehr als 200 Zuhörern über Gruppenselbsthilfe. Nach dem Vortrag trafen sich die Initiatoren mit Dr. Ehlen in der Wohnung des CDU-Vorsitzenden Hermann Voßkämper in der Siedlung Großheide. Hier wurde die Idee geboren, in Mönchengladbach eine Siedlerselbsthilfegemeinschaft zu gründen.

Am 8. Dezember 1946 trugen Johannes Lenzen und Gerhard Klein in einer öffentlichen Versammlung im ,,Graf Balderich“ ihre Gedanken zur Gründung einer Siedlergemeinschaft vor. Ihre Vorstellungen wurden in einem 9-Punkte-Programm zusammengefasst:



Mönchengladbach, den 8. Dezember 1946

Gedanken und Vorschläge
zur Errichtung einer Siedlergemeinschaft


Zweck der Gemeinschaft ist die Errichtung von Heimstätten mit genügend großem Gartenland (1/2 bis 1 Morgen).
Die Heimstätten sollten von volksgesunden Familien im Selbsthilfeverfahren errichtet werden.

Es wird angestrebt, dass der Grund und Boden von der Stadt, der Kirchengemeinde oder von Privatgrundbesitzern kostenlos oder zu tragbaren Preisen überlassen wird.

Die Ausführung soll in jeder möglichen Bauform durchgeführt werden (Verwertung von altem Baumaterial, fabrikmäßig fertiggelieferten Hausteilen, Rohstahlskelettbau, Lehmstampfbauweise).

Die Gesellschaftsform soll ein eingetragener Verein (e.V.) sein, dessen Mitglieder wenigstens einen Geschäftsanteil in Höhe von 100 bis 1.000 Reichsmark übernehmen müssen. Weitere Geschäftsanteile sollen im Rahmen, wie Gelder für die Durchführung der Bauten nötig werden, durch eine örtliche Bank oder Kasse vertrieben werden.
Die Planung soll im Laufe des Winters soweit durchgeführt werden, dass die zukünftigen Siedler im Frühjahr in größerem Umfang ihre Bauparzellen zugeteilt bekommen können. Diese Parzellen - bis zum Herbst als Gartenland benutzt - brächten bereits die erste Ernte ein.

Hierdurch könnte gleichzeitig schon die Eignung der Siedlerbewerber erprobt werden. Die Siedler sollen erst nach mehrjähriger Bewährung als Eigentümer eingetragen werden können. Damit die Siedlung nicht Spekulationsobjekt werden kann, soll bei Vermögensübertragung, außer auf die Kinder, immer die Siedlergemeinschaft das Vorkaufsrecht haben.


Das wichtigste Ergebnis dieser Versammlung war der Entschluß, eine Siedlergemeinschaft zu gründen. An dieser Versammlung nahmen 13 Ratsmitglieder des am 13. Oktober 1946 gewählten Stadtrates teil.
Zum ersten Vorsitzenden wurde Johann Lenzen gewählt.
Sein Stellvertreter wurde Dr. Lichtschlag, der auch gleichzeitig Schriftführer war.
Zum Kassierer bestimmte die Versammlung Gerhard Klein.

Wenige Tage später wurde die Gemeinschaft, die sich den Namen „Selbsthilfe-Siedlergemeinschaft Mönchengladbach“ gegeben hatte, ins Vereinsregister eingetragen.
Die gerichtliche Urkunde trägt folgende Unterschriften:
Johann Lenzen Dr. Lichtschlag Gerhard Klein
Peter Schmitz Tillmann Eichmanns Josef Höttges
Wilhelm Mausbach Wilhelm Wachtendonk Heinrich Esser
Alois Wenten

Auf Antrag des Ratsherrn Gerhard Klein beschloss der Rat der Stadt am 5. März 1947 die Gründung des Siedlungsausschusses.

Nun gab es also die erste Siedlergemeinschaft; aber um bauen zu können, braucht man Land.
In den folgenden Wochen begann die Suche nach Bauland. Private Grundbesitzer waren nicht bereit, Bauland für wertlose Reichsmark herzugeben. Die Kirchen sagten, sie hätten keine bebaubaren Grundstücke.
Somit blieb nur die Stadt als Landbeschaffer übrig, und die Stadt hatte ein Einsehen. Eine sumpfige städtische Wiese in Neuwerk am Nordkanal wurde dem Verein zur Verfügung gestellt. Warum aber dort nicht gebaut werden konnte, habe ich schon im Vorwort aufgezeigt. Nach heftigen Rangeleien zwischen Siedlern und Rat auf der einen und den Baubehörden aus der Stadt und Düsseldorf auf der anderen Seite wurde das zum Teil ausgekofferte Gelände der Ziegelei in Ohlerfeld den Siedlern zur Bebauung zur Verfügung gestellt.

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