Gemeiner Wert für Grundstücke & Immobilien Das sollten Sie über den gemeinen Wert wissen

Der gemeine Wert taucht in unterschiedlichen Zusammenhängen auf: Versicherungen setzen ihn an, auch das Finanzamt kommt mit dem gemeinen Wert für Grundstücke und Immobilien um die Ecke. Worum es sich dabei handelt, welche Relevanz er hat und wie der gemeine Wert berechnet wird, erfahren Sie in hier.

Das Wichtigste in Kürze

  • Was ist der gemeine Wert? Der gemeine Wert ist der Marktwert eines Grundstücks oder einer Immobilie, allerdings ohne Berücksichtigung ungewöhnlicher Umstände oder persönlicher Einflüsse wie Verfügungsbeschränkungen.

  • Wann wird der gemeine Wert angesetzt? Das Finanzamt setzt den gemeinen Wert für Grundstücke und Immobilien immer dann an, wenn kein anderer Wert vorgeschrieben ist.

  • Wie wird der gemeine Wert berechnet? Bei unbebauten Grundstücken ist der gemeine Wert praktisch mit dem Bodenwert identisch. Bei Immobilien wird er per Vergleichswertverfahren berechnet, bildet aufgrund von ignorierten Faktoren wie Verfügungsbeschränkungen allerdings oft nicht den richtigen Marktwert ab.

  • Wie ist der Nachweis für einen niedrigeren gemeinen Wert zu erbringen? Ein zertifizierter Sachverständiger/Gutachter kann diesen Nachweis mit einem Verkehrswertgutachten erbringen. Alternativ gilt der erzielte Erlös bei einem Verkauf auf dem freien Markt innerhalb eines Jahres nach dem Wertermittlungsstichtag als geeigneter Nachweis. Dadurch kann der Eigentümer die anfallenden Steuern senken.

Gemeiner Wert - Definition

Der gemeine Wert wird laut Bewertungsgesetz (§ 9 BewG) immer dann angesetzt, insofern für eine Bewertung kein anderer Wert vorgeschrieben ist. "Der gemeine Wert wird durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre." Im Bereich Grundstücke und Immobilien zählen sowohl eigene Merkmale wie Lage und Größe, als auch exogene Faktoren wie Baulasten oder Wegerechte eine Rolle.
Ungewöhnliche und persönliche Verhältnisse werden nicht berücksichtigt, alle anderen wertrelevanten Umstände schon. Verfügungsbeschränkungen wie beispielsweise Nießbrauch fallen unter persönliche Verhältnisse. Das gilt für den gemeinen Wert insbesondere dann, wenn die Verfügungsbeschränkung auf einer letztwilligen Anordnung (Verfügung als Teil des Testaments) beruht, Stichwort: geerbtes Haus verkaufen.
Der gemeine Wert spielt im Hinblick auf die Bewertung von Immobilien in zwei Bereichen eine Rolle: für die steuerliche Wertermittlung und für Versicherungen. Der Hauptunterschied zu den meisten anderen Werten ist, dass er allein die Verkäufer-Perspektive betrachtet.
Der gemeine Wert wird durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Dabei sind - außer ungewöhnlichen und persönlichen Verhältnissen - alle Umstände zu berücksichtigen, die den Preis beeinflussen.

Einheitswert vs. gemeiner Wert 
Der Einheitswert ist für das Finanzamt die Grundlage für die Berechnung der Grundsteuer - und zwar für Grundstücke, Immobilien (Wohnimmobilien und Gewerbe) sowie land- und forstwirtschaftliche Betriebe. Derzeit basieren die Einheitswerte noch auf Werten von 1964, in den neuen Bundesländern sogar auf noch älteren Werten (von 1935). Ab 2025 tritt eine Reform des Einheitswertes in Kraft. Dann wird vermutlich auch § 19 BewG aktualisiert.

Verkehrswert vs. gemeiner Wert 
Der Verkehrswert ist praktisch der Marktwert der Immobilie. Man kann ihn auch Einzelveräußerungspreis nennen. Der wichtigste Unterschied zum gemeinen Wert ist der, dass beim Verkehrswert alle Faktoren eine Rolle spielen, also auch Verfügungsbeschränkungen wie ein eingetragenes Wohnrecht. Wer eine Wertermittlung benötigt, die gegenüber Finanzbehörden und vor Gericht Bestand hat, gibt ein Verkehrswertgutachten in Auftrag.

Hier wird der gemeine Wert angesetzt

Widmen wir uns wieder dem gemeinen Wert. Da wir nun wissen, wofür der gemeine Wert steht, schauen wir uns in diesem Abschnitt an, in welchen Bereichen der gemeine Wert eine Rolle spielt.

Steuerrecht 
Das Finanzamt orientiert sich bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer sowie bei einem Vermögenszuwachs durch die Schenkung einer Immobilie vorrangig am gemeinen Wert. Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss des Ersten Senats vom 7. November 2006, 1 BvL 10/02) urteilte dazu: "Die Bewertungsmethoden müssen gewährleisten, dass alle Vermögensgegenstände in einem Annäherungswert an den gemeinen Wert erfasst werden."
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erhob den gemeinen Wert mit diesem Urteil zum Wertermittlungsmaßstab. Parallel lässt das BVerfG jedoch Typisierungen beziehungsweise pauschalisierte Grundstücks- und Immobilienbewertungen zu. Pauschalisierungen sind gültig, solange das Übermaßverbot nicht verletzt wird, die Bewertung seitens des Finanzamts also nicht extrem über den gemeinen Wert hinausgeht.
Expertentipp: Steuerschuldner haben daher gemäß § 198 BewG die Möglichkeit, mit einem Verkehrswertgutachten eines öffentlich Immobiliengutachters, der gesetzeskonforme Bewertungsmethoden anwendet, einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen. Das Gutachten eines Wirtschaftsprüfers ist nicht zugelassen. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat bekräftigt, dass der Nachweis eines geringeren gemeinen Wertes verfassungsrechtlich auch in Fällen geboten ist, in denen das Gesetz dies ausschließt.

Der konkrete Fall: Das Lagefinanzamt ermittelte im Rahmen der Erbschaftsteuerfestsetzung einen Grundbesitzwert von 235.296 Euro für einen landwirtschaftlichen Betrieb. Der Erbe verkaufte den geerbten Grundbesitz für 123.840 Euro. Das Finanzamt erkannte diesen Betrag nicht als niedrigeren gemeinen Wert an, korrigierte allerdings die zugrunde liegenden Bodenrichtwerte und senkte die Erbschaftsteuer auf 191.952 Euro.
Der Steuerschuldner beantragte eine Revision. Seiner Auffassung nach

  • hätte das Finanzgericht § 166 BewG verfassungskonform dahingehend auslegen müssen, dass der Nachweis eines geringeren gemeinen Wertes erlaubt sei,

  • erbrachte er diesen Nachweis durch den zeitnahen Verkauf des Grundstücks auf dem freien Markt,

  • hat der Gesetzgeber nicht bedacht, dass bei der Bewertung von Grundbesitz auf Basis der Bodenrichtwerte Unbilligkeit entstehen kann.

Der Bundesfinanzhof stimmte dieser Auffassung mit dem BFH-Urteil vom 30. Januar 2019, II R 9/16 zu.

Wofür der gemeine Wert noch gebraucht wird

Abgesehen vom Versicherungsrecht sowie der Ermittlung der Erbschaft- und Schenkungssteuer wird der gemeine Wert unter anderem für folgende steuerrechtlichen Gestaltungsszenarien verwendet:

  • Tausch sowie Umsatzsteuer-Bemessungsgrundlage beim Tausch

  • Bemessung der Stiftungseingangssteuer

  • Einlage in eine Körperschaft

  • Bewertung der Transfers von Sachwerten (wie Immobilien) vom Privat- ins Betriebsvermögen und umgekehrt

  • Aufwertung von internationalen Schachtelbeteiligungen bei Optionserklärung

Letztlich hat der gemeine Wert viel mit Betriebsvermögen (Wirtschaftsgut, Geschäftsverkehr) zu tun.

So berechnen Gutachter den gemeinen Wert

Ein zertifizierter anerkannter Immobiliengutachter berechnet den Verkehrswert und nicht den Einheitswert oder den gemeinen Wert, den das Finanzamt ermittelt. Denn der gemeine Wert lässt Verfügungsbeschränkungen und spezielle Rahmenbedingungen außen vor. Diese drücken den Marktwert (Verkehrswert) meistens jedoch erheblich und mindern daher auch die Steuerlast, wenn sie in der Immobilienbewertung berücksichtigt werden.
Wie der Marktwert korrekt berechnet wird, erfahren Sie in unserem Ratgeber "Verkehrswert von Immobilien ermitteln". In Deutschland greifen Sachverständige primär auf das Vergleichswertverfahren zurück. Um auf Nummer sicher zu gehen, wird je nach Gebäudetyp und Eignung nachgelagert außerdem der Verkehrswert nach dem Ertrags- oder Sachwertverfahren ermittelt.

So berechnet das Finanzamt den gemeinen Wert für ein Grundstück

Bei einem unbebauten Grundstück berechnet das Finanzamt einfach den Bodenwert. Dazu wird der Bodenrichtwert mit der Grundstücksfläche multipliziert.
Bei bebauten Grundstücken berechnet der Finanzbeamte den gemeinen Wert ebenfalls, ohne das Gebäude je gesehen oder gar betreten zu haben. Seine Grundstücksbewertung fußt auf den Bodenwerten des örtlichen Gutachterausschusses und den baulichen Anlagen. Üblicherweise nutzt der Fiskus das Vergleichswertverfahren. Der tatsächliche Zustand der Immobilie / des Grundstücks ist für die Finanzbehörde unerheblich. Ist die Wertermittlung über diese Variante mangels vergleichbarer Objekte nicht möglich, findet das Sach- oder Ertragswertverfahren Anwendung. Allerdings berücksichtigt das Finanzamt eben keine Abschläge für einen Modernisierungsstau oder die Sanierungsbedürftigkeit des Gebäudes, sondern bewertet nach Alter. Auch erhebliche Verfügungsbeschränkungen wie Nießbrauch, ein Wohnrecht oder der im Testament festgehaltene Wille des Erblassers, dass das Haus nur an eine gemeinnützige Einrichtung verkauft werden darf - die wohl kaum marktgerechte Preise bezahlen wird -, klammert das Finanzamt aus.
Sie haben eine baufällige Immobilie in einer Toplage geerbt? Der gemeine Wert wird viel zu hoch ausfallen.
Ihre Eltern haben Ihnen ihre Eigentumswohnung im Rahmen einer Schenkung überschrieben , verfügen aber über ein dauerhaftes Wohnrecht? Der gemeine Wert wird aufgrund der Verfügungsbeschränkung weit über einem realistischen Marktpreis liegen.
In solchen Fällen empfehlen wir, nicht erst auf den Steuerbescheid zu warten, sondern proaktiv ein gesetzeskonformes, aber steueroptimiertes Verkehrswertgutachten einzureichen, das den "niedrigeren gemeinen Wert" belegt.

Bestimmung des niedrigeren gemeinen Wertes

Führt die Standard-Bewertung des Finanzamts zu einem gemeinen Wert, der höher ist als der Verkehrswert des Grundstücks, dann lässt § 198 BewG dem Steuerpflichtigen ein Schlupfloch. Kann ein zertifizierter Gutachter nachweisen, dass der gemeine Wert der wirtschaftlichen Einheit (Grundstück + Immobilie) im Sinne des § 9 BewG (Verkehrswert) am Bewertungsstichtag niedriger ist als der vom Finanzamt festgestellte Wert, so bewirkt die Öffnungsklausel , dass der dann niedrigere Verkehrswert angesetzt werden darf.
Sofern die maßgeblichen Verhältnisse sich gegenüber denen, die am Bewertungsstichtag vorlagen, nicht geändert haben, gilt als Nachweis des niedrigeren gemeinen Wertes auch der Kaufpreis. Voraussetzung dafür ist laut § 198 Abs. 3 BewG, dass der Verkauf innerhalb eines Jahres nach dem Bewertungsstichtag stattgefunden hat - und zwar unter Bedingungen des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs. Ein Schnäppchen-Verkauf an Angehörige zählt also nicht.
Die Haken daran:
-Der Steuerpflichtige muss einen Nachweis erbringen (Gutachten).
-Ein Verkehrswertgutachten kostet einen vierstelligen Betrag.
-Der Steuerpflichtige muss darlegen, warum der niedrigere gemeine Wert gilt.

Wann spielt der gemeine Wert eine Rolle?

Der gemeine Wert spielt für das Finanzamt immer dann eine Rolle, wenn kein anderer Wert vorgeschrieben ist. Liegt ein Verkehrswertgutachten eines zertifizierten anerkannten Immobiliensachverständigen vor, richten sich die Finanzbeamten meist danach, anstatt den oft deutlich höheren gemeinen Wert zu berechnen.
Prinzipiell ist der gemeine Wert im Zusammenhang mit Immobilien gefragt, wenn es um eine Erbschaft, Schenkung, möglicherweise auch Scheidung, die Stiftungssteuer oder diverse Spielarten rund um das Themenfeld Betriebsvermögen geht.

Wie wirken sich Verfügungsbeschränkungen auf den gemeinen Wert aus?

Verfügungsbeschränkungen wie Wohnrecht oder Nießbrauch werden bei der Berechnung des gemeinen Wertes nicht berücksichtigt. Liegt eine Verfügungsbeschränkung vor, sollte der neue Eigentümer des Grundstücks / der Immobilie unbedingt ein Verkehrswertgutachten beim Finanzamt einreichen, um die Steuerlast zu senken.

Was hat es mit dem Nachweis des niedrigeren gemeinen Wertes auf sich?

Der Gesetzgeber erlaubt den Finanzämtern eine Typisierung und Pauschalisierung bei der Wertermittlung von Immobilien und Grundstücken. Da diese einfache Betrachtung häufig nicht einmal ansatzweise den wahren Marktwert einer Immobilie widerspiegelt, räumt er dem Steuerschuldner mit § 198 BewG die Möglichkeit ein, diesen Wert durch den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes durch einen Sachverständigen zu senken.

Haben Sie noch Fragen zum Thema gemeiner Wert für Grundstücke und Immobilien? Kontaktieren Sie uns für ein kostenloses Erstgespräch. Womöglich kann ein Sachverständiger in unserer Partnerschaft, Ihnen mit einem Gutachten weiterhelfen. Senden Sie uns eine Kontaktanfrage per Mail an baden-wuerttemberg@verband-wohneigentum.de.


Autor: Stefan Schwind, Sachverständiger für Immobilienbewertungen.
Herr Schwind ist Mitglied im Verband-Wohneigentum Baden-Württemberg und Kooperatinspartner des Landesverbandes.

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