Erinnerungen

von Franz Nieländer / 1994


"Die Erde war wüst und leer"

Diese Zeile drängte sich auf bei der Betrachtung einer großen, mit Stacheldraht umzäunten, kargen Wiese. Im Hintergrund, hinter der durch Buschwerk markierten Bahnlinie, ein Förderturm und dabei ein großes, kastenförmiges Gebäude (Schacht V der Zeche Minister Achenbach). Dahinter Struckmannsberg, links der Wald beim Geistwinkel. Selbst der illustrative Prospekt der Märkischen Gesellschaft für Eigentumsbau mit dem Titel "Wohnbebauung Altlünen-Alstedde" konnte damals der Phantasie nicht recht aushelfen. Hier sollte blühendes Land entstehen? Zuhause werden?
Nur der Satz: "Das Gelände liegt in der Nähe der Versorgungszentren für den täglichen Bedarf und grenzt direkt an den Grüngürtel, der die Stadt Lünen und die Gemeinde Altlünen mit den Borker und Cappenberger Wäldern umgibt" ließ sich bei der ersten Besichtigung am 05.01.1972 bestätigen.
Bereits am 24.01.1972 wurde eine "Ankaufsverpflichtung für das Haus Nr. 25" unterschrieben. Der Wunsch nach eigenem Haus und Garten in ruhiger Umgebung, die günstige Lage zum Arbeitsplatz im Dortmunder Norden, Einverständnis mit Frau und Schwiegermutter, auch die erneuerte Bekanntschaft mit Dr. Bierwirth, Schwiegersohn von Lorenz Kesting, dazu eine gehörige Portion an Mut und Gottvertrauen, führen zum raschen Entschluss.
Das Jahr 1972 ging dann hin mit Überlegungen und Besprechnungen zu baulichen Veränderungen anhand des Plans für das schlüsselfertig zu erstellende Haus, wobei Wünschenswertes und Finanzierbares in Einklang zu halten waren. Im Mai dieses Jahres begann Kesting mit der Vorbereitung des Areals. Der Mutterboden wurde mehrere Dezimeter tief abgehoben und zu einem langen Wall entlang der Bahnlinie aufgeschüttet. Aus der kargen Wiese war eine Sandwüste geworden, dekoriert mit mächtigen Betonröhren, aus denen die Kananlisation des Flachskamp entstehen sollte.
Die Erschließungsarbeiten begannen.
Nach dem Abschluss des Notariatsvertrages zum Hauskauf am 15.02.1973 wurde Ende März der Bau des Hauses mit dem Gießen einer armierten Betonplatte vorbereitet; diese sollte dem Gebäude im Fleßsand festen Stand sichern. Als bald darauf der Rohbau bis zu Kellerdecke gediehen war, zeigte sich, dass nur die Betonplatte unter dem damaligen Bodenniveau lag, die Kellerdecke erhob sich etwa 2,50 Meter darüber. Zur "Haustür" gelangte man über eine entsprechend lange Leiter.
Mitte Juli 1973 war das Dach eingedeckt und als Bezugstermin der Anfang des Dezembers zugesagt. In diesem Sommer waren auf der Nordostseite des Flachskamps die Flachdachbungalows bis fast zum Sachsenweg in Bau, sieben Häuser der zweiten Reihe und drei Häuser der ersten Reihe. Außerdem wurde an einigen Häusern an der Südwestseite der Straße gebaut. Das ganze Gelände war nun mit einem hohen Bauzaun umgeben und wurde, nach üblen Erfahrungen der Bauleitung, zur Nachtzeit von Wächtern in Begleitung großer Hunde begangen.
Wie der weitere Ausbau verlief kann sich jeder, der selbst gebaut hat, leicht ausmalen. Der Beklagenswerteste auf dem Flachskamp war wohl der Bauführer Klesse, der den Puffer bildete zwischen dem Bauuntermehmen und den sogenannten Erwerbern. Eine Art von menschlicher Klagemauer. Inzwischen war das Gelände durch Aufschütten von Bergematerial auf das heutige Niveau gebracht. Die Grundstücke an der Bahn zeigen auch heute noch die ursprüngliche Höhe des Baugebiets.
Zu den "Ersten Menschen" im Flachskamp gehörten die Familien Ebbinghaus, Godeck und Nieländer. Für geraume Zeit war das zvilisierte Laben hier jedoch noch recht bedroht.
Ein Beispiel: Wieder einmal fiel der elektrische Strom aus. Der zentrale Sicherungskasten für das Baugebiet stand neben dem Transformatorenhaus in der Lauenburger Straße. Da der Schlüssel für dessen Vorhängeschloss nicht greifbar war, wurde vom alarmierten Baustellenwächter das Schloss mit einem Bolzenschneider geknackt, die Sicherung reaktiviert und damit die Versorgung mit elektrischer Energie gesichert. Dem Wächter wurde dankbar ein wärmendes Getränk gereicht, ohne seine beherzte Hilfe hätte es durch den Ausfall der Gasheizung eine ungemütliche Winternacht gegeben.
In den ersten Tagen von 1974 mußten allerlei Bürgerpflichten wahrgenommen werden. Altlünen war damals selbstständige Gemeinde im Amt Bork und Kreis Lüdinghausen. Die Anmeldung bei der Gemeinde geschah in deren Verwaltungsstelle in der Schulstraße 10.
Die Ummeldung des Kraftfahrzeugs war mit einem Halbtagsausflug nach Lüdinghausen zu verbinden. Dort befand sich auch das zuständige Finanzamt. "Kenner" interpretierten übrigens das neue Autokennzeichen "LH" als Abkürzung für "Landheini" und behaupteten dreist, in Dortmund werde der übrige Verkehr umgeleitet, sobald sich ein Fahrzeug mit diesem Kennzeichen dem Ortskern von Norden her nähere.
Im Laufe des Jahres 1974 bevölkerte sich der Flachskmap recht ansehnlich. In der Sandwüste entstand schon eine beachtliche Anzahl dem Auge höchst erfreulicher Oasen. Mit dem Sprießen des ersten Rasens, dem Erblühen der ersten Rosen und dem Pflanzen von Sträuchern und Bäumchen war die Zeit des Pionier-Daseins vorbei. Das Gefühl des Hier-Zuhause-Seins erwachte und bestärkte sich.
Aber kaum fühlte man sich ein wenig als Bürger Altlünens, da ging diese Episode bereits zu Ende. Für viele Eingesessene war es "eine rund 600 Jahre alte Geschichte", wie der damalige Bürkgermeister Alfred Meermann im Dezember 1974 in seinem Abschiedsbrief schrieb. Er wünschte darin "echte Bereitschaft zum Handeln im Sinne der neuen Stadt".
Seit dem 1. Januar 1975 sind wir nun Lüner Bürger im Kreis Unna, wieder an der Peripherie des Kreisgebiets. Ob diese Reform für uns vorteilhaft war und ist, das lässt sich hier in knappen Worten nicht diskutieren und zusammenfassen.

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