Wir wollen unser Leben gestalten Sonderauszeichnung für bürgerschaftliches Engagement
Der Siedlerverein Moränensiedlung Portitz hat beim VWE-Bundeswettbewerb 2020 eine Sonderauszeichnung für bürgerschaftliches Engagement erhalten. Der Vorsitzende Heiko Zeidler im Interview:
Herr Zeidler, die Jury lobt die in Ihrem Siedlerverein gepflegte lebendige politische Diskussionskultur und die kritische Auseinandersetzung mit geschichtlichen Themen. Woher dieses Interesse an Politik und Geschichte?
Heiko Zeidler: Wir alle möchten harmonisch und gut miteinander leben. Wir möchten uns zuhause und in unserem Quartier wohlfühlen. Oft wird in Gesprächen über Zustände, Entwicklungen und Ereignisse geschimpft. Und sehr oft bleibt es dabei. Fragen werden nicht gestellt, Veränderungsvorschläge nicht gemacht. Hier versuchen wir, im Austausch mit den von uns gewählten "Entscheidern" Lösungen für Probleme zu finden. Letztlich auch, um so an der Weiterentwicklung im Ortsteil aktiv teilzunehmen.
Zudem gehen wir Fragen nach wie: Woher kommen wir? Unter welchen Umständen wurde unsere Siedlung erbaut? - Das ist ohne Geschichtsbetrachtung nicht möglich. Kein leichtes Unterfangen, da unsere Siedlungen in den 1930er Jahren entstanden sind. Die Generation des Zweiten Weltkrieges hatte aus verschiedenen Gründen einen Mantel des Schweigens ausgebreitet. Nur äußerst selten wurde in den Familien und in der Öffentlichkeit über diese Zeit gesprochen. Zeitzeugen gibt es kaum noch. In der DDR-Zeit wurde einseitig der Antifa-Kampf betont, die "Grautöne" jener Zeit
blieben jedoch außen vor. Der Frage, warum in den 1930er Jahren so viele Menschen der "neuen Zeit" entgegenjubelten, wurde nicht nachgegangen. Den konkreten Ereignissen vor Ort hat sich kaum einer gestellt, es wird Zeit, dies einmal aufzuarbeiten.
Was bieten Sie hier konkret an?
Wir wollen unser Leben gestalten - und nicht nur verwalten. Unerlässlich ist es dabei, die Fragen unserer Mitglieder aufzunehmen und an Kompromissen für Lösungen zu arbeiten. Die Zusammenarbeit mit den weiteren Vereinen hier vor Ort und gewählten Gremien hat da eine Schlüsselrolle. Zu Jahresbeginn hat es sich beispielsweise eingebürgert, mit Vereinen und Einrichtungen sowie den Politikern des Wahlkreises bei einem Neujahrsgespräch einen gemeinsamen Veranstaltungskalender vorzustellen. Mit der Kandidatur zu Wahlen auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene werden die Politiker zu Bürgergesprächen eingeladen und bei einer gemeinsamen Ortsrundfahrt über ihren zukünftigen Wahlkreis informiert. Dass Abgeordnete Schirmherrschaften zu wichtigen Vereinshöhepunkten übernehmen, hat nun ebenfalls schon Tradition und eine gute Außenwirkung. Für seine politische Arbeit braucht der Vorstand Fleiß und einen langen Atem. Das wichtigste sind aber Respekt und die Bereitschaft zum Kompromiss, die eine Diskussion auf Augenhöhe ermöglichen.
Seit fünf Jahren gestalten wir regelmäßig eine Vortragsreihe "History", um die Geschichte vor der eigenen Haustür zu beleuchten. Wichtiger Pool an Informationen - bis hin zu Dokumenten und Fotomaterialien - sind die Erlebnisse unserer älteren Generation. Für uns hilfreich sind auch Stadt- und Staatsarchive, Nachbarvereine oder Gedenkstätten und Ortschronisten. Heute reicht unsere Vortragsreihe von der Siedlerbewegung im gesamten Ortsteil mit elf Siedlungsteilen (1919-1939) bis zu den uns ehemals umgebenden riesigen Rüstungsunternehmen, wo auch unsere Siedler mit Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen gearbeitet haben. Die mit Grün überwucherten Ruinenlandschaften sind heute noch zu sehen, ebenso das Mahnmal der Opfer von KZ und Zwangsarbeit.
Sie investieren für Ihr Ehrenamt viel freie Zeit. Was macht das Ehrenamt für Sie aus?
Vielleicht braucht man ein gewisses "Helfersyndrom", um sich für andere einzusetzen? Gemäß der Devise, "Was sich nicht bewegt, kann auch keine Spuren hinterlassen", möchte ich schon kleine Spuren hinterlassen. Fest steht, Ehrenamt ist selten nur Ehre, sondern viel Arbeit für ein gutes Zusammenleben in unserer Siedlung und darüber hinaus. Letztlich habe ich selbst ein Interesse an einer Gemeinschaft, die zusammensteht und Freude am Leben hat.
Interview: Katrin Ahmerkamp