BFH verhandelt über Grundsteuer
Bonn/Berlin, 12. November 2025. Heute verhandelt der Bundesfinanzhof (BFH) erstmals über mehrere Verfahren zur neuen Grundsteuer - ein Tag mit Signalwirkung für Millionen Haus- und Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer. Die Reform, die mehr Gerechtigkeit versprochen hatte, steht erneut auf dem Prüfstand. Für den gemeinnützigen Verband Wohneigentum ist der Verhandlungstag ein Weckruf an die Politik: Die bisherigen Bewertungsmodelle erzeugen neue Ungleichheiten, während die Belastung vieler Haushalte spürbar steigt.

Der Verband kritisiert, dass die Steuer auf Basis stark vereinfachter Standardwerte erhoben wird. "Typisierte Einstufungen, die sich allein auf Bodenrichtwerte und pauschale Mieten stützen, bilden die Realität nicht ab und produzieren vielerorts nicht nachvollziehbare Ungerechtigkeiten", so Wegner. Damit wachse nicht nur der bürokratische Aufwand, sondern auch der Vertrauensverlust. "Die neue Grundsteuer hatte von Beginn an ein Akzeptanzproblem - und sie hat ein Gerechtigkeitsproblem. Das Gesetz muss zurück auf die politische Ebene und korrigiert werden."
Reform im Stresstest: Was heute in München verhandelt wird
Der BFH prüft in drei Verfahren (II R 25/24, II R 31/24, II R 3/25), ob die Bewertungsregeln (§218ff BewG) des sogenannten Bundesmodells verfassungsgemäß sind. Elf Bundesländer nutzen dieses Modell, das auf pauschalen Bodenrichtwerten, standardisierten Nettokaltmieten und Typisierungen basiert.
Konkret geht es um die Frage, ob Millionen Grundstücke mithilfe pauschaler Berechnungen bewertet werden dürfen - oder ob das den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verletzt. Mehrere Finanzgerichte haben verfassungsrechtliche Zweifel geäußert und dem BFH vorgelegt.
Mögliche Szenarien reichen von der Bestätigung des Modells bis zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht. Im Raum stehen Fragen, die Millionen Steuerbescheide berühren.
Was eine Entscheidung bedeuten könnte
• Bestätigung der Bewertungsregeln: Wenn der Bundesfinanzhof das Bundesmodell für rechtmäßig hält: In diesem Fall blieben die bereits ergangenen Grundsteuerwert- und Grundsteuermessbescheide grundsätzlich bestehen. Einsprüche, die sich ausschließlich auf die Verfassungsmäßigkeit des Modells stützen, hätten dann keine Aussicht auf Erfolg. Nur individuelle Bewertungsfehler (z.B. falsche Flächenangaben, Bodenrichtwert, Nutzung) könnten noch geltend gemacht werden.
• Teilweise Beanstandung oder Vorlage an das Bundesverfassungsgericht: Der BFH könnte bestimmte Bewertungsregeln für verfassungsrechtlich zweifelhaft halten und das Verfahren dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Prüfung vorlegen (§ 80 Abs.1 BVerfGG). In diesem Fall würden laufende Einspruchsverfahren ruhen, bis Karlsruhe entschieden hat. Erst danach wäre klar, ob einzelne Berechnungsparameter (z.B. Mietniveaustufen, Typisierungen, Bodenrichtwert, Methodik) geändert oder rückwirkend angepasst werden müssen. Es entstünde eine Übergangsphase mit erheblicher Rechtsunsicherheit, aber keine automatische Aufhebung bestehender Bescheide.
•Verfassungswidrigkeit des Modells (nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts): Sollte das BVerfG das Bewertungsmodell oder Teile davon für verfassungswidrig erklären, müsste der Gesetzgeber nachbessern. Das Gericht würde voraussichtlich - wie schon 2018 - eine Übergangsfrist setzen, innerhalb derer das geltende Recht weiter angewendet werden darf, um das Steueraufkommen der Kommunen zu sichern. Erst nach Inkrafttreten einer neuen Regelung könnten Neubewertungen erfolgen. Eine Rückwirkung auf bereits festgesetzte Grundsteuerbescheide wäre nur in engen Ausnahmefällen denkbar (z.B. bei noch offenen Verfahren oder vorläufigen Bescheiden). Kommunen müssten ihre Hebesätze dann anpassen, um Einnahmeverluste oder -sprünge auszugleichen. Für Eigentümer*innen könnte das zu Entlastungen oder Neuverteilungen führen, aber nicht automatisch zu Rückzahlungen.
Reform mit Schlagseite: föderales Steuer-Labyrinth
Seit dem 1. Januar 2025 gilt die neue Grundsteuer bundesweit - aber einheitlich ist sie keineswegs. Jedes Bundesland darf vom Bundesmodell abweichen. Das Ergebnis: ein Flickenteppich aus 16 Systemen. Ziel war mehr Gerechtigkeit - sichtbar wird eher Komplexität und Verunsicherung.
Länder-Zoom: Drei Modelle, drei Botschaften
Die Grundsteuerreform ist längst kein einheitliches Projekt mehr - sie ist zu einem Experimentierfeld der Länder geworden. Zwischen politischem Pragmatismus, fiskalischem Druck und öffentlicher Empörung entstehen sehr unterschiedliche Antworten auf dieselbe Frage: Wie bleibt Wohnen bezahlbar, wenn Bewertungsgrundlagen steigen?
Nordrhein-Westfalen: Zwischen Anspruch und Unsicherheit
NRW, wo das Bundesmodell angewandt wird, ist von der Reform besonders stark betroffen. Denn im bevölkerungsreichsten Bundesland lag die Grundsteuer bereits in der Vergangenheit auf bundesweitem Rekordniveau. Seit der Reform haben die Bürger*innen in Nordrhein-Westfalen umso mehr mit Verwerfungen zu kämpfen. "In NRW schlägt das Gerechtigkeits-Defizit der Grundsteuerreform doppelt und dreifach zu Buche", sagt Jan Koch, Geschäftsführer des Verband Wohneigentum Nordrhein-Westfalen.
In tausenden Fällen hätten die neuen Regeln zu teils absurden Bewertungsfehlern geführt. "Hinzu kommt, dass die Grundsteuer in NRW durch die Reform fürs Wohnen teurer und fürs Gewerbe günstiger geworden ist", erklärt Koch. Ermäßigte Hebesätze für Wohngrundstücke, die diesen Effekt abmildern könnten, haben ihm zufolge aber nur gut ein Viertel der NRW-Städte eingeführt. Getoppt wird das von einer neuen Entwicklung. "Weil die Finanzämter im Laufe des Jahres massenweise falsche Grundsteuer-Bescheide nach unten korrigieren mussten, blieben die Einnahmen der Städte weit hinter ihren Prognosen zurück. Die Konsequenz: Im nächsten Jahr müssen zahlreiche NRW-Städte ihre Hebesätze schon wieder erhöhen", befürchtet der Grundsteuer-Experte aus NRW. Sein Fazit: "Gerecht wird diese Grundsteuer nicht mehr!"
Der Verband Wohneigentum Nordrhein-Westfalen fordert deshalb ermäßigte Hebesätze fürs Wohnen und gesplittete Hebesätze, um die Belastung gerechter zu verteilen. Gleichzeitig drängt NRW auf Transparenz bei den Bewertungsgrundlagen - damit Eigentümer*innen nachvollziehen können, warum ihre Grundsteuer steigt, während Nachbarn entlastet werden.
Thüringen: der politische Rückwärtsgang
Thüringen hat aus der Unzufriedenheit vieler Eigentümer*innen Konsequenzen gezogen - und die Steuermesszahl für Wohnimmobilien um 26 % gesenkt. Statt 0,31 ‰ gilt nun 0,23 ‰, während Gewerbe stärker belastet wird. Das Ziel: Wohnen entlasten, Fehlsteuerungen korrigieren, Vertrauen zurückgewinnen. Die Folge: Rund 750.000 neue Bescheide müssen verschickt werden - ein gewaltiger Aufwand, der selbst das Finanzministerium an seine Grenzen bringt. "Diese Reform strahlt den Geist der gemeinsamen Verantwortung aus", findet Thüringens Finanzministerin Katja Wolf.
Hamburg: Ausgleich durch Mathematik
Ganz anders in Hamburg: Der Stadtstaat setzt auf eine erhebliche Erhöhung der Hebesätze, versucht aber nach dem Nutzen des Grundstücks zu unterscheiden. Der Hebesatz B steigt von 540 % auf 975 %, die Grundsteuer C für unbebaute Grundstücke sogar auf 8.000 %. Zugleich führt Hamburg differenzierte Messzahlen ein: 0,70 für Wohnflächen, 0,87 für Gewerbe. Offiziell soll das aufkommensneutral sein - faktisch bedeutet es für viele Eigentümer*innen Mehrbelastungen, besonders in Innenstadtlagen.
Dennoch berichtet Dr. Herlind Gundelach, Landesvorsitzende Verband Wohneigentum Hamburg: "In Hamburg hält sich der Protest über die neue Grundsteuer in Grenzen, zumal unser Finanzsenator mehrmals nachdrücklich seine frühere Aussage bestätigt hat, dass er - falls Mehreinnahmen gegenüber der früheren Regelung entstehen - er diese an die Zahler zurückgeben wird. Auch in Hamburg gab es zum Teil deutliche Steigerungen des Betrags, in der Regel ist das aber darauf zurückzuführen, dass bei dem entsprechenden Finanzamt auch keine aktuellen Berechnungsgrundlagen vorlagen. Bei Einigen wurden in Eigenregie in den letzten Jahren erhebliche bauliche Veränderungen an ihren Häusern vorgenommen, dies aber zu keiner Zeit angezeigt haben. Insofern haben sie in den letzten Jahren zu wenig Grundsteuer bezahlt, das wird jetzt ausgeglichen."
Ob NRW, Thüringen oder Hamburg - überall versuchen Politik und Verwaltung, die Folgen der Reform in den Griff zu bekommen. Doch jede Korrektur auf Landesebene verstärkt das strukturelle Problem: Statt einheitlicher Gerechtigkeit herrscht ein Flickenteppich aus Steuerlogiken. "Am Ende entscheidet der Wohnort, nicht die Wohnform über die Höhe der Grundsteuer." so Verband-Wohneigentum-Präsident Peter Wegner.
Aufkommensneutralität – ein Märchen mit Folgen
Die Reform sollte Einzelbelastungen ausgleichen und das Gesamtaufkommen stabil halten. Doch Auswertungen von CORRECTIV & Finanztip zeigen: In Hessen überschreiten rund 80 % der Kommunen die empfohlenen Hebesätze, in Sachsen etwa 20 %. Der Verband Wohneigentum kritisiert: "Die Grundsteuer muss bezahlbar bleiben. Nicht höhere Belastung darf das Ziel sein."
Tipps für von Erhöhung Betroffene:
1. Bescheid prüfen – insbesondere Bewertung und Messzahl.
2. Falls die Frist noch nicht abgelaufen ist, Einspruch fristgerecht einlegen – oft verweisend auf die anhängigen Verfahren beim BFH.
3. Gegengutachten prüfen – sinnvoll bei offenkundig zu hoher Bewertung.
4. Hebesatz-Beschlüsse der Kommune beobachten – bereits steigende Kommunalhebesätze können mehr kosten als Bewertungssenkungen sparen.
5. Wenn die Frist für den Einspruch abgelaufen ist, ggf. auf eine Fehlerkorrektur bestehen.
Die Verfahren sind kein Randthema – sie entscheiden über das System der Grundsteuer in Deutschland. Bestätigt das Gericht das Bundesmodell, bleibt alles beim Alten mit weiter steigender Komplexität. Wird das Modell gekippt, steht eine Neuberechnung im großen Stil an – mit Risiken für Kommunalhaushalte und Chancen für Menschen mit Wohneigentum. Ein Urteil wird im Frühjahr 2026 erwartet.
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Anna Florenske | Pressesprecherin Verband Wohneigentum
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