"Es irgendwie wieder schön kriegen" Das Jahrhunderthochwasser - Interview mit einer Betroffenen

Ein Jahrhunderthochwasser am 14. Juli 2021 macht aus dem Bach neben dem Haus einen reißenden Strom, der sie und ihr Zuhause bedroht. Ein Jahr nach der Flut erinnert sich eine Antweilerin aus dem Ahrtal an den Tag und seine Folgen. Sie erzählt vom Wiederaufbau, den Hilfen und davon, was sie aus der Katastrophe gelernt hat.

Nach der Flut
Auf dem gesamten Grundstück war 40 cm Schlamm. Dazwischen alles, was die Flut mitgerissen hatte.   © privat
Verband Wohneigentum: Frau Güttig, wo waren Sie an diesem Tag, der Ihr Leben veränderte?
Dagmar Güttig:
Die Unwetterwarnung war ja schon Tage vorher. Aber die hat ja kein Mensch wirklich ernst genommen. Ich war Zuhause und habe den Bach beobachtet und habe gedacht: Er ist 36 Jahre nicht über die Ufer gegangen - solange lebe ich hier - warum soll der jetzt über die Ufer gehen? Und irgendwann nachmittags habe ich nicht mehr gefasst, was passiert ist: Dieser kleine Bach, der war plötzlich ein reißender Strom, er hat etliches wie Baumstämme, Glascontainer usw. mitgerissen, was dann gegen die Häuser geknallt ist - auch die Ahr in der Nähe war plötzlich wild und breit. Mein Hauseingang liegt an einer Treppe etwas höher als gewöhnlich, daher gelangte das Wasser erst sehr spät in mein Haus. Vorher wurde ich zum Glück evakuiert: Als es dunkel wurde, stand plötzlich die Feuerwehr vor dem Haus und hat mich und meine beiden Hunde aus dem Fenster evakuiert. Die sagten: "Entweder Sie kommen jetzt mit - oder nie mehr!"

Zum Glück hat die Flut bei Ihnen nicht so verheerend gewütet, wie anderswo. Ihr Haus blieb stehen. Wann konnten Sie wieder zurück?
Kurz nach der Flut
Kurz nach der Flut. Überall Schlamm und Erde.   © privat
Nachts so gegen halb 3 Uhr sagte die Feuerwehr, dass ich wieder in mein Haus könne. Es war alles dunkel, es gab keinen Strom mehr. Das Wasser stand noch hoch, alles war zu geschwemmt mit Treibgut. Die haben mir geholfen, mein Tor zu öffnen. Und dann hat mich der Bürgermeister mit der Taschenlampe zu meinem Haus gebracht. Ins Obergeschoss konnte ich zwar, aber in der Nacht habe ich kaum geschlafen.

Und jetzt ist schon 1 Jahr seit dieser schrecklichen Nacht vergangen. Was hat die gewaltige Flut bei Ihnen alles zerstört?
Vor allem - den Glauben an die Sicherheit. Und materiell: Ich lebe in einem alten Bauernhaus. Auf dem gesamten Grundstück war circa 40 Zentimeter Schlamm. Es hat eine Mauer und ein schweres Schiebetor weggerissen. Fast alles, was in der Scheune war, wo ich Antiquitäten, Werkzeug, Pferdezubehör und mehr gelagert hatte, ist zerstört. Und im Haus im Erdgeschoss war überall der Schlamm, etwa 10 - 15 Zentimeter. Der ist durch den Abfluss reingedrückt worden.

Im Haus wurde wahrscheinlich auch viel zerstört, oder?
Ja! Ich werde immer ein bisschen sprachlos, wenn ich mich wieder erinnere. (Pause) Das selbst bei mir, ich habe ja überlebt, ich habe ein Dach über dem Kopf behalten … und nichtdestotrotz merke ich, dass es ein Trauma war! Viel hat die Flut zerstört! Möbel, Böden, Putz … so Vieles.

Und wie ist es heute, konnte alles wieder aufgebaut werden?
der Bauerngarten heute
Frau Güttigs Bauerngarten heute: "endlich wieder etwas Schönes!"   © privat
Nein, nirgendwo! An allen Ecken und Kanten fehlte was: Generator, Bautrockner, man hat keinen Elektriker bekommen und wenn, dann war der doppelt so teuer. Das ist so richtig erst Anfang dieses Jahres gemacht worden. Und wo der Putz abgestemmt wurde wegen Feuchtigkeit, bekomme ich bis heute keinen Verputzer. Im Bad sind schon Fliesen und Estrich neu, aber verputzt ist noch gar nichts.

Dieses Entschlammen von Gegenständen ist immer noch nicht abgeschlossen. Ich habe so einen Ekel vor diesem Schlamm entwickelt, dass ich auch ganz lange die Sachen gar nicht anpacken konnte. Hinten im Garten habe ich jetzt jemanden beauftragt, der den schweren Schlamm entfernt. Und ich habe wieder angefangen zu pflanzen. Jetzt so langsam ist es so, dass es wieder einen Hauch von Normalität bekommt.

Jahrhunderthochwasser

Mitte Juli 2021 kam es in Teilen Deutschlands zu extremen Unwettern. Am schlimmsten betroffen waren Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli fielen dort bis zu 100 bis 150 Liter Regen pro Quadratmeter. In der Folge kam es zu Sturzfluten und massiven Überschwemmungen.


Wer hat Ihnen geholfen?
Die ersten vier Tage hatte ich 10 bis 15 Leute hier, die geholfen haben, den Schlamm auszufahren. Das waren meine Familie und Freunde, aber es sind auch Fremde gekommen, die einfach gefragt haben: ‚Können wir anpacken?‘ Sie alle waren - bombastisch! Die haben Kraft gegeben - ich war wie paralysiert. Soviel Zerstörung, das war schon ein starkes Verlustgefühl. Wobei ich ja nicht so stark betroffen bin wie viele andere. Doch auch bei mir wird der Aufbau noch dauern.

Haben Sie finanzielle Hilfen, Entschädigungen bekommen?
Wie alle Betroffenen habe ich die Soforthilfe vom Kreis bekommen und vom Bund eine Entschädigung für zerstörtes Inventar. Dazu vom Ort eine finanzielle Unterstützung, je nach Schaden. Für den langfristigen Wiederaufbau gibt es vom Bund auch noch Geld, aber es fehlt an Gutachtern, mein Gutachten ist erst gerade in Arbeit. Erst damit kann ich den Antrag stellen. Und ganz viele erzählen mir, die den Antrag schon lange gestellt haben, dass sie noch kein Geld haben.

Können die Entschädigungen Ihrem materiellen Schaden decken?
Die Summe, wie groß der materielle Schaden bei mir war, kann ich nicht nennen, da ich ja noch gar nicht alle Sachen wieder in Ordnung bringen lassen konnte. Auch hatte ich noch wirklich keinen Kopf dafür, alle Ausgaben zusammenzurechnen. Fakt ist aber leider auch, dass die Preise der Handwerker rasant angestiegen sind - im Vergleich zu vorher. Das hat vielleicht auch etwas mit der Weltsituation und dem Rohstoffmangel zu tun. Aber das steht auch im Zusammenhang damit, dass hier eine Riesennachfrage ist.

Hat eine Versicherung gezahlt?
Von der Gebäudeversicherung habe ich keinen Cent bekommen. Eine Elementarschaden-Versicherung hatte ich leider nicht, ich hatte immer gedacht: Die brauchst du nicht. Wer gezahlt hat, ist die KFZ-Versicherung - mein Geländewagen und mein Transporter waren beide Totalschaden. Nach der Flut habe ich mich schnell um eine Elementarschaden-Versicherung gekümmert. Zum Glück war das noch möglich.

Welchen Rat können Sie anderen Menschen mit Wohneigentum geben - bezogen auf solche Extremwetterereignisse?

der Bach heute
Der Bach heute – Vieles ist noch nicht repariert worden.   © privat

Mir ist klar geworden, man braucht einen Notfallkoffer. Ich habe nun Notfallvorräte - Wasser und Essen. Es ist gut, einen Stromgenerator in der Nähe zu haben. Und ich würde in Zukunft die Wettervorhersage ernster nehmen und mich früher bei Gefahrenwarnungen ins Auto setzen und wegfahren. Ich nutze jetzt die Warn-App NINA vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, wo man genau sehen kann, in welcher Region mit Extremwetter zu rechnen ist.

Interview: Anna Florenske


Die Hochwasser-Katastrophe 2021 forderte insgesamt 181 Menschen das Leben, der Sachschaden belief sich auf mehrere Milliarden EURO. Ein großer Teil der privaten Schäden war nicht versichert.

Allgemein wird davon ausgegangen, dass die Häufigkeit von Elementarschäden wie Hochwasser, Flut und Sturm zunimmt. Der Verband Wohneigentum erwartet von einer derzeit diskutierten Pflichtversicherung für Schäden durch solche Naturereignisse an Gebäuden (ähnlich der Kfz-Versicherung), dass alle Eigentümer und Eigentümerinnen durch einen eigenen Rechtsanspruch abgesichert werden können. Aktuell gelten Häuser in bestimmten Regionen/Lagen aufgrund der besonderen Gefahrenlage als nicht (mehr) versicherbar.
Verena Örenbas

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