Erbbaurecht - Teil 2 Sozial oder nur ökonomisch?
Hauseigentümer, die auf gepachtetem Grund wohnen, werden immer wieder mit unerwartet hohen Zinssteigerungen konfrontiert. Der Erbbauzins wird angehoben nach Indices, die zumindest fragwürdig sind. Die Hauseigentümer kommen unter Umständen an finanzielle Grenzen, der Grundeigentümer scheint am längeren Hebel zu sitzen. Interessen-Gemeinschaften versuchen, ein Gegengewicht zu formieren und rechtliche Änderungen herbeizuführen. Die größten Schwierigkeiten in der Praxis treten bei der Festlegung des Erbbauzinses neuer Verträge, aber auch bei der Anpassung alter Verträge auf.
Festlegung neuer Verträge
Bei Neuverträgen orientieren sich die meisten Erbbaurechtsausgeber an der üblichen Marge von vier bis fünf Prozent des aktuellen Grundstückswertes, die als Erbbauzins festgelegt werden. Diese "eingefahrene" Berechnungsgrundlage ist nicht mehr zeitgemäß. Wenn in den 50er Jahren vier Prozent des Grundstückswertes als Erbbauzins zugrunde gelegt wurden, waren dies bei beispielsweise 15 DM je qm Grundstückspreis 0,60 DM Erbbauzins je qm im Jahr.
War das Grundstück 800 qm groß, musste jährlich ein Erbbauzins in Höhe von 480 DM oder monatlich 40 DM gezahlt werden. Berücksichtigt man die Einkommen von damals, so war dies ein hoher Betrag für den Erbbaurechtsnehmer. In den 60er und 70erJahren stiegen die Grundstückspreise enorm, der Erbbauzins konnte jedoch nur gemäß dem Erbbaurechtsvertrag angepasst werden. Denn gesetzlich vorgesehen ist, dass Änderungen der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse eingehen, nicht aber die des Grundstückswerts. Daher werden teilweise bei Altverträgen auch heute noch extrem günstige Erbbauzinsen gezahlt.
Die Ausgeber der Erbbaurechte merkten, dass ihre Grundstücke einen wesentlich höheren Wert erreichten, konnten an den bestehenden Verträgen aber nichts ändern. So behielten sie die Berechnungsgrundlage bei Neuverträgen bei, um den "Verlust" später wieder aufzuholen. Gäbe es heute noch Grundstücke in einer Größe von 800 qm, könnte den Erbbauzins keiner mehr bezahlen. Bei einem Grundstückspreis von 190 Euro je qm würde bei 4 Prozent der Erbbauzins monatlich rund 500 Euro betragen (800 qm x 190 Euro = 152.000, davon 4 Prozent = 6.080 Euro / 12 Monate = 506,66 Euro). Selbst wenn heutige Grundstücke meist wesentlich kleiner sind, durchschnittlich etwa 300 qm, zahlen Erbbaurechtsnehmer heute einen Erbbauzins, der monatlich so hoch ist wie bei Altverträgen der Jahreszins.
Behielte man diese Basis bei und veränderte über die Wertsicherungsklauseln lediglich die Höhe des Erbbauzinses nach dem Lebenshaltungsindex, blieben die demografische Entwicklung - und realen Einkommen - sowie das Sinken der Grundstückspreise in vielen Regionen unberücksichtigt. Waren früher die Ausgeber die "Benachteiligten", sofern sie die Wertsteigerung ihres Grundstücks nicht einrechnen konnten, sind es heute die Erbbaurechtsnehmer, wenn die Berechnungsbasis bei Abwertung nicht verändert wird.
Ist es der Politik wirklich ein sozialpolitisches Anliegen, das selbstgenutzte Familienheim zu fördern, auch im Hinblick auf die Alterssicherung, dann muss der Erbbauzins neuer Verträge maßvoll festgesetzt werden. Denkbar wäre, weiterhin den Grundstückswert zugrunde zu legen, aber zu unterscheiden zwischen Bauland und Gartenland. Davon könnten zum Beispiel drei Prozent als Erbbauzins berechnet werden, also ein Wert unterhalb üblicher Renditen, der aber nicht zu niedrig ist und beiden Partnern langfristig Genüge tut. Aus sozialen Gründen müssten weitere Abschläge vorgesehen werden, etwa bei jungen Familien, beispielsweise orientiert an der Anzahl der Kinder und dem Einkommen, oder bei älteren Erbbaurechtsnehmern, bezogen auf die Renteneinkünfte. Es muss gewährleistet werden, dass der Erbbaurechtsnehmer sein Haus weiterhin nutzen kann, selbst wenn die Rente gering ist.
Grundsätzlich wäre zu überlegen, einmal einen Grundstückswert festzulegen (Anfangswert), der für die gesamte Vertragsdauer Gültigkeit hat. Alternativ könnte man in einem gewissen zeitlichen Rahmen (etwa alle zehn Jahre) die Grundstückswerte, die Einkommen und soziale Komponenten überprüfen und den Erbbauzins im Rahmen der Billigkeit nach oben oder unten anpassen. Mit einer dauerhaften, unverschuldeten Verschlechterung der Einkommensverhältnisse des Erbbaurechtsnehmers, zum Beispiel durch Eintritt in das Rentenalter, sollte ein Anspruch auf Neufestlegung außerhalb einer solchen 10-Jahresfrist entstehen.
Anpassung alter Verträge
Die tägliche Praxis zeigt, dass die grundsätzlich vorgesehene Anpassungsmöglichkeit des Erbbauzinses in Altverträgen in sehr unterschiedlichen Wertsicherungsklauseln und daher unüberschaubar geregelt ist. Häufig können weder die Ausgeber noch die Nehmer die Berechnungen richtig durchführen oder prüfen, sodass Ärger vorprogrammiert ist. Seit Jahren rät das Statistische Bundesamt von Punkteregelungen in Wertsicherungsklauseln ab und empfiehlt stattdessen, auf eine Veränderung in Prozent abzustellen. Doch kaum ein Ausgeber von Erbbaurechten kommt dieser Empfehlung nach.
Liegt einer Wertsicherungsklausel eine Veränderung in Punkten zugrunde, ist die zu prüfende Veränderung der jeweiligen Indexstände relativ einfach durch Subtraktion zu ermitteln. (Beispiel: Basisjahr 2000 = 100, Verbraucherpreisindex steigt um 10 Prozentpunkte, dann entsprechende Anpassung des Zinses auf 110 Punkte). Die Schwierigkeit liegt aber darin, dass häufig ein früheres Basisjahr als Grundlage dient, etwa 1960. Alle fünf Jahre stellt das Statistische Bundesamt auf ein neues Basisjahr um. Dadurch kann man nicht einfach den aktuell veröffentlichen Verbraucherpreisindex verwenden, sondern man muss entweder die Indexstände oder den Punktebetrag auf die aktuelle Basis umrechnen. Hinzu kommt, dass seit Februar 2003 die so genannten Umbasierungsfaktoren für die Umrechnung von aktuellen auf alte Basisjahre nicht mehr berechnet und veröffentlicht werden. Die Nachteile von Punkteregelungen machen diese Form von Wertsicherungsklauseln aus statistischer Sicht nicht mehr vertretbar, auch wenn sie grundsätzlich noch anwendbar ist.
Das Statistische Bundesamt empfiehlt daher, neue Wertsicherungsklauseln auf Basis des Verbraucherpreisindex für Deutschland abzuschließen bzw. bestehende Klauseln mit langer Restlaufzeit entsprechend umzustellen. Dem ist zum Beispiel das Erzbistum Köln nachgekommen - nach meinem Kenntnisstand wurde diese Vertragsänderung von den Betroffenen akzeptiert. Die Umstellung auf ein neues Basisjahr erübrigt sich bei einer Veränderung in Prozent. Aber auch die Lohnentwicklung müsste als Faktor eingehen.
Billigkeitsprüfung bei Zinserhöhung
Die „Interessengemeinschaften Erbbaurecht“, die derzeit rechtlich und politisch für eine Novellierung des Erbbaurechts aktiv sind, machen unter anderem bezüglich der Zinsanpassung eine neue Rechnung auf. Kritisiert wird, dass das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23. Mai 1980 (V ZR 129/76) bei der gesetzlich vorgesehenen Billigkeitsprüfung angewandt wird, obwohl sich die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse massiv geändert haben. Maßstab für die Billigkeit der Zinserhöhung ist die „Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse“, gemessen an der Reallohnentwicklung. Hierbei lege die Rechtsprechung das arithmetische Mittel zweier Indices, nämlich von Nominallohnentwicklung und Preisniveau zugrunde. Nach einem Gutachten von Philipp Sibbertsen, Professor für Statistik an der Leibnitz Universität Hannover, ist es korrekt, den Reallohn für die Anpassung heranzuziehen. Doch errechne sich dieser nicht als Mittelwert, sondern als Quotient aus Lohn- und Preisniveau.
Beispiel: gesetzt Preise und Löhne verdoppeln sich. Gemäß BGH-Formel erhält man 100 Prozent (Lohnsteigerung) + 100 Prozent (Preissteigerung) / 2 = 100-prozentige Steigerung des Reallohns, also Verdoppelung. Tatsächlich ist der Reallohn gleichbleibend, nämlich bei Verdoppelung der Ursprungswerte von 1 auf 2 (Lohnsteigerung) / 2 (Preissteigerung) = 1. Das Beispiel zeigt die erhebliche Differenz und entsprechenden Folgen für die Anpassung des Erbbauzinses.
Gesetzeskonflikt
Abschließend sei ein Fall aus unserer Rechtsberatung erwähnt: Ein Verbandsmitglied ist als Erbbauberechtigter der Forderung des Gesetzgebers zu energiesparenden Maßnahmen nachgekommen und hat auf sein selbstgenutztes Einfamilienhaus eine Photovoltaikanlage installiert. Der Ausgeber des Erbbaurechts sah darin eine wirtschaftliche Veränderung des Erbbaurechtsvertrages, nämlich durch gewerbliche Tätigkeit, und verlangt einen um 600 Euro erhöhten jährlichen Erbbauzins. Wir vertreten die Ansicht, dass es nicht rechtens sein kann, dass der Erbbaurechtsnehmer durch einen höheren Erbbauzins dafür „bestraft“ wird, den Forderungen der Bundesregierung nach klimaschonenden Investitionen nachzukommen. Unserer Bitte um Klarstellung ist das Bundesjustizministerium bedauerlicherweise nicht nachgekommen, sondern verwies uns an die Zivilgerichte.
Detlef Erm, Jurist