Zur Nutzungsdauer von Gemeindestraßen

AUS EINEM AKTUELLEN GERICHTSURTEIL: "Nach der Rechtsprechung der Kammer liegt die übliche Nutzungsdauer bei asphaltierten Fahrbahnen bei 25 Jahren. Für gepflasterte Verkehrsflächen ist von einer Nutzungsdauer von etwa 30 Jahren auszugehen ..."

Als ich 2012 mit dem damaligen Bürgermeister unserer Stadt sprach, sagte der "Die Stadt kann ohne weitere Begründung nach 25 Jahren die Erneuerung ihrer Straße beschließen und die Anlieger zu Straßenbeiträgen heranziehen."
Bei näherer Beschäftigung mit dem Thema wird schnell klar, dass diese 25 Jahre sehr pauschal und kommunalfreundlich, aber zum Nachteil der beitragspflichtigen Anlieger festgesetzt sind, und dass praktische und wissenschaftliche Erkenntnisse nicht berücksichtigt wurden.

Deutlich längere Nutzungsdauer

Jeder kennt in seiner Umgebung Straßen, die nach vierzig, fünfzig oder mehr Jahren noch gut dastehen. Dazu gibt es heute zahlreiche objektive Belege von Baupraktikern, aus Kommunen, von Wissenschaftlern, vom hessischen Landesrechnungshof usw.
Exemplarisch einige Fälle:

1.Das Modell des Rednitzhembacher Bürgermeisters Jürgen Spahl ist mittlerweile bundesweit bekannt. Der Baupraktiker geht davon aus, dass der Unterbau einer alten Gemeindestraße in der Regel gut verfestigt ist, und dass Ausbau und Neueinbau der Tragschicht keine Verbesserung bringen (sondern manchmal sogar eine Verschlechterung sind). Wichtigster Punkt der "Methode Spahl" ist die geschlossene Straßendecke. Beschädigungen der Oberfläche (z.B. Aufbrüche der Versorger) sind zu vermeiden. Wenn möglich, ist die Deckschicht einer Straße in einem Zug abzufräsen und neu einzubringen. Spahls Methode ist nicht "regelkonform", allerdings gibt ihm der Erfolg recht: es gab keinen Schadensfall in 25 Jahren. Nebeneffekt: der Gemeindehaushalt ist heute wieder deutlich im Plus! Andere Kommunen haben inzwischen das Modell übernommen.

2. Die 192. Vergleichende Prüfung "Straßenunterhalt II" des hessischen Landesrechnungshofs (Kommunalbericht 12/2016) geht bei ihrem Vergleich von Erhaltungsstrategien im Fall 2 davon aus, dass die Lebensdauer von Gemeindestraßen sehr deutlich die 25 Jahre überschreiten kann bei regelmäßiger Instandhaltung (siehe Abbildung). Basis der Annahmen sind die "Empfehlungen für das Erhaltungsmanagement von Innerortsstraßen" (E-EMI, Ausgabe 2012) der Forschungsgesellschaft Straßen- und Verkehrswesen (FGSV).
Den Aufwand für die Instandhaltung beziffert die FGSV mit ca. 1,10 bis 1,30 € jährlich je Quadratmeter Straßenfläche, Stand 2004 ("Merkblatt über den Finanzbedarf der Straßenerhaltung in der Gemeinden", Ausgabe 2004).

Eigene Darstellung
© Eigene Darstellung

3. Eine ähnliche Strategie verfolgt z.B. auch die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden seit Mitte der 90er Jahre (Straßennetz ca. 880 km, 6,2 Mio. qm zzgl. 4,5 Mio. qm Randflächen). Die Straßen werden kontrolliert und rechtzeitig instandgesetzt. Vorfahrt für Instandhaltung!

4. In seiner Dissertation "Ansätze für ein Erhaltungsmanagement kommunaler Straßen unter Berücksichtigung des NKF" an der Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Bau- und Umweltingenieurwissenschaften, stellt Verfasser Dr.-Ing. Alexander Buttgereit 2018 fest, dass "für unterschiedliche Straßenkategorien Nutzungsdauern von 30 bis 60 Jahren durchaus realistisch erreicht werden können. Wesentliche Voraussetzungen hierfür sind eine möglichst geringe Zahl an Aufgrabungen, ein gutes Qualitätsmanagement von der Planung bis zum Betrieb sowie eine ausreichend finanzierte Straßenerhaltung. Bei einer veränderten Erhaltungsstrategie sind vermutlich gerade für untergeordnete Straßen auch längere Nutzungsdauern zu erzielen."(https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&cqlMode=true&query=idn%3D118752249X )

5. Professor Berthold Best (TU Nürnberg) antwortet auf die Frage, um wieviel die Lebensdauer einer Straße bei optimaler Instandhaltung verlängert werden kann: "Wir sprechen von einer technischen Nutzungsdauer für eine Straße von etwa 40 Jahren. Das bedeutet nicht, dass ich die Straße herstelle und dann 40 Jahre nichts mehr machen muss. Nach den ersten 15 Jahren steht normalerweise schon die Erneuerung der Deckschicht an. Das sind die oberen drei bis vier Zentimeter. Nach 25 Jahren muss ich die ersten beiden Asphaltschichten erneuern. Und dann kann ich schon die Lebensdauer insgesamt auf 60 Jahre erhöhen." (Nordbayerischer Kurier, 13.5.2015)

Die zum Maßstab gemachten 25 Jahre sind weder aus der Baupraxis noch mit wissenschaftlichen Erkenntnissen begründbar. Stattdessen erscheint bei fach gerechter Instandhaltung eine Nutzungsdauer von 50 bis 60 Jahren realistisch, bei untergeordneten Straßen auch länger.

Aber nicht nur bei Verwaltungsgerichten, sondern auch im Finanzsystem vieler Kommunen wurde bei der Umstellung auf Doppik pauschal eine Abschreibungsdauer von 30 Jahren angesetzt.

Was sind die Folgen dieser Praxis?

1. Keine wirklichkeitsgetreue Bewertung der Kommunalstraßen. Die von der Verwaltung dargestellten Werte für Abschreibung und Sonderpostenauflösung basieren dann auf falschen Zahlen.

2. Die Kommunen müssen(!) weitestgehend auf regelmäßige Instandhaltung verzichten. Denn die Modellrechnung des Hessischen Landesrechnungshofs zeigt, dass eine Kommune wirtschaftlich "am günstigsten" fährt, wenn sie keine Instandhaltung macht, sondern sich nach Ablauf von 25 oder 30 Jahren eine Straßenerneuerung zum Großteil von den Anliegern bezahlen lässt (siehe oben). Dazu gehört auch, dass viele Kommunen den fachgerechten Wiederverschluss von Aufbrüchen
z.B. durch Versorger kaum kontrollieren oder womöglich beanstanden (Hessischer Rechnungshof
"Zusammenfassender Bericht 1998", Seite 89 ff.). Mit den Konzessionsgebühren der Versorger für die Nutzung der Straßen für Leitungen - bezahlt vom Bürger über den Strompreis - aber werden andere Löcher im Gemeindehaushalt gestopft.

3. Den an Straßenerneuerungen beteiligten Unternehmen (Baufirmen, Planungsbüros) kommt die angeordnete "verkürzte" Lebensdauer entgegen, da bei "grundhaften Erneuerungen" ein größerer Auftragswert entsteht. Denn bei "nicht regelkonformen" Baumaßnahmen können sie eine Gewährleistung ablehnen, auch um auf die Kommune Druck für die teure grundhafte Erneuerung zu machen.

4. Bei den in Kommunen geführten Diskussionen, wie Straßenerneuerungen zukünftig finanzieren sind, werden die zu erwartenden Kosten stark nach oben verzerrt, wenn Nutzungsdauer zu gering und die Abschreibung zu hoch angesetzt sind. Gleiches gilt für die Sonderpostenauflösung.

Insgesamt entsteht ein sehr verfälschtes Bild der Situation, dass der Abschaffung der Straßenbeiträge angeblich "unüberwindbare Hürden" entgegenstünden.

Zusammenfassung und Empfehlung

Forschung und Praxis zeigen, dass die Nutzungsdauer von Gemeindestraßen regelmäßig deutlich höher liegen als die 25 Jahre laut Verwaltungsgerichtsbarkeit oder Finanzverwaltung. 60 Jahre und mehr sind gut möglich. Nur bei Überbeanspruchung, nicht fachgerecht wieder verschlossenen Aufgrabungen und "weggesparter" Instandhaltung wird die Nutzungsdauer stark verkürzt. Durch die falsch angesetzte Nutzungsdauer entstehen in Kommunen zusätzliche Hürden für die Abschaffung der Straßenbeiträge.

Die AG Straßenbeitragsfreies Hessen stellt fest, dass der hessische Gesetzgeber im Kommunalabgabengesetz (KAG) falsche Anreize setzt, wenn eine Kommune sich die Straßeninstandhaltung ersparen kann, da nach 25 Jahren eine Straßenerneuerung auf Kosten der Anlieger zulässig ist.

Heute sollte "Vorfahrt für Instandhaltung!" allein schon aus klimapolitischen Gründen gelten. Statt weiterhin Streit, Frust, "Verwaltungsbeschäftigungsmassnahmen", lange Diskussionen in Kommunalparlamenten und zahllose Gerichtsprozessen zu veranstalten, empfiehlt die AG Straßenbeitragsfreies Hessen

(1) den Rechts - und Verwaltungsexperten, die Pauschalannahme einer nur 25 jährigen Nutzungsdauer von Kommunalstraßen kritisch zu hinterfragen und in Rechtssprechung und
Verwaltungsansätzen baupraktische und wissenschaftliche Erkenntnisse einzubeziehen
(2) dem Landesgesetzgeber die landesweite Abschaffung der Straßenbeiträge (ersatzlose Streichung KAG §§11,11a), und
(3) den Stadtverordnetenversammlungen und Gemeindevertretersitzungen, realistische Werte bei ihren Überlegungen zu einer "Gegenfinanzierung" anzusetzen, und die notwendige Aufhebung der örtlichen Straßenbeitragssatzung jetzt unverzüglich zu beschließen, mit möglichst langer Rückwirkung.

Andreas Schneider, Diplom-Bauingenieur (TU)
Straßenbeitragsfreies Hessen - eine AG hessischer Bürgerinitiativen

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