Die Bauzinsen steigen - und nun? Interview

Die aktuellen Zinsänderungen nach oben können den Traum von der eigenen Immobilie platzen lassen. Und so gibt es viele Tipps zu den steigenden Bauzinsen. Doch die meisten lassen sich nicht so einfach verallgemeinern, gibt VWE-Finanzexperte Helmut Weigt zu bedenken.

Helmut Weigt, unser Finanzexperte beim VWE
Helmut Weigt, Finanzökonom (ebs), Finanzfachwirt (FH), Vorsitzender Verband Wohneigentum Rheinland-Pfalz   © VWE
VWE: Manche Expert*innen raten, eine längere Zinsbindung anzustreben - also eine Laufzeit von mehr als 15 Jahren. Was sagen Sie dazu, Helmut Weigt?
Man muss zunächst wissen, dass der Zinssatz von Darlehen analog der vereinbarten Zinsbindungsfrist steigt. Das heißt: Je länger die Zinsbindung, desto höher ist in der Regel der Zinssatz und damit natürlich auch die monatliche Zins- und Tilgungsrate.

Dieser höhere Zinssatz für längere Zinsbindungsfristen wird vor allem dadurch ausgelöst, dass man als Verbraucher oder Verbraucherin das gesetzliche Recht hat, ein Darlehen mit einer Zinsbindung länger als 10 Jahre zu kündigen, während die Bank an diesen Zinssatz gebunden ist. Damit wächst das Risiko der Bank, dass ein Kunde - je nach Situation am Kapitalmarkt - das Darlehen nach 10 Jahren tatsächlich kündigt und die Bank rechnerisch einen Verlust erleiden würde, weil sie sich im Rahmen ihrer Refinanzierung ja an den vereinbarten Zinssatz der jeweiligen Anlage (in der Regel eine festverzinsliche Schuldverschreibung) halten muss. Dieses Risiko fängt die Bank durch einen höheren Darlehenszins auf.

Alternativ könnte ein Kunde (beispielsweise bei einer zehnjährigen Zinsbindung mit niedrigerem Zinssatz) diesen höheren Darlehenszins bei einer längeren Zinsbindung auch in einen höheren Tilgungsbeitrag stecken. Er oder sie würde das Darlehen damit schneller tilgen und das Zinsänderungsrisiko am Ende der Zinsbindung reduzieren.
Letztlich bleibt aber immer festzustellen, dass niemand eine Glaskugel besitzt, die vorhersagen kann, wie die Zinsentwicklung tatsächlich in den kommenden Jahren verläuft und uns so bei der Entscheidung für die richtige Zinsbindung weiterhelfen könnte.

Es kommt also immer darauf an, wie der jeweilige Kunde oder die jeweilige Kundin finanziell aufgestellt ist: Würde man eine mögliche Zinsänderung bei kürzeren Zinsbindungen problemlos verkraften? Oder bevorzugt man die Sicherheit eines langfristig festgeschriebenen Zinssatzes, selbst mit dem Risiko, dadurch eventuell finanzielle Einbußen hinnehmen zu müssen?

Ein weiterer häufiger Tipp bei steigenden Bauzinsen ist, den bereits laufenden jetzt Kredit zu verlängern. Also weit vor Ende der Zinsbindung. Macht das Sinn?
Auch bei dieser Entscheidung kommt es vor allem darauf an, wie viel Sicherheit der jeweilige Kunde braucht oder wie finanzstark er oder sie ist. Guten Gewissens könnte das empfehlen, wenn Menschen aus Angst vor weiter steigenden Zinsen nicht mehr schlafen können oder tatsächlich einen noch höheren Zinssatz als den, den sie zu heutigen Forward-Konditionen für einen Anschlussvertrag abschließen würden, finanziell nicht tragen können. Für diese Kunden stellt eine gegebenenfalls auch sehr früh abzuschließende Forward-Finanzierung die nötige Sicherheit rechtzeitig her.

Auch kommt es darauf an, wie die Konditionen des noch laufenden Vertrags aussehen. Liegt der heute realisierbare Forward-Zins noch im Rahmen des aktuell laufenden Zinssatzes, fällt die Entscheidung zugunsten eines Forward-Darlehens sicher etwas leichter, denn man verschlechtert sich auf keinen Fall, sondern verbessert sich vielleicht sogar.
Was ich aber jedem, der sich vertraglich für eine Forward-Finanzierung entschieden hat, empfehlen kann, ist schlicht, diese Entscheidung nicht mehr zu hinterfragen und sich nicht über eine evtl. doch falsch getroffene Entscheidung zu ärgern (weil die Zinsen vielleicht doch wieder gesunken sind). Was man hat, das hat man. Und wenn es bezahlbar ist und bleibt, dann ist die Welt doch in Ordnung!

Eine solide Planung ist immer, und besonders bei steigenden Bauzinsen, ein weiterer Tipp. Als Faustregel wird oft angegeben, dass die monatlichen Belastungen nicht mehr als 30-35 % des verfügbaren Nettoeinkommens ausmachen sollten. Was denken Sie darüber?
Grundsätzlich empfehle ich, die Tilgungshöhe so zu wählen, dass man spätestens mit Eintritt ins Rentenalter die Finanzierung getilgt hat, um das in der Regel geringere Alterseinkommen durch die entfallende Finanzierungsrate zu kompensieren.

Zu Ihrer Frage konkret: Ich kenne Menschen, die auch mit einer Finanzierungsbelastung immer noch hervorragend leben, die höher als 30-35 % ihres Einkommens ausmacht. Weil diese Menschen schlicht genug verdienen, um sich trotz einer prozentual höheren Finanzierungsbelastung immer noch alle Wünsche erfüllen zu können.
Genauso kenne ich aber auch Menschen, die sich mit einer Finanzierungsbelastung kleiner als 30-35 % ihres Einkommens kein Eigentum in ausreichender Größe leisten können, weil sie schlicht zu wenig verdienen.

Diese Prozentregeln, die alte Hasen noch als "goldene" (30 %), "silberne" (40 %) oder "bronzene" (50 %) "Baufinanzierungsregel" kennen, suggerieren aber eigentlich eine falsche Herangehensweise an das Thema:
Jeder Mensch oder jede Familie braucht individuell betrachtet einen gewissen Betrag, um den Lebensstandard ohne Verzicht finanzieren zu können. Der Betrag, (abzüglich einer ausreichenden Reserve) der dann "unterm Strich" monatlich noch zur Verfügung steht, kann relativ sicher in eine Immobilienfinanzierung investiert werden. Ein regelmäßiges und sicheres Einkommen ist vorausgesetzt. Wie sich dieser Betrag prozentual zum Einkommen darstellt, kann damit sehr unterschiedlich ausfallen. Für mich ist in einer Beratung daher stets maßgebend, dass der individuelle Lebensstandard gehalten und daneben die Finanzierungsrate dauerhaft getragen werden kann.

Darüber hinaus muss aber auch immer eine Beurteilung dazu stattfinden, ob - trotz funktionierender individueller Haushaltsrechnung - die Haushaltsrechnungen der Banken erfüllt wird, die sich standardgemäß an Durchschnittswerten und gegebenenfalls recht hohen Risiko-Zuschlägen orientieren. Beide Bedingungen müssen somit erfüllt werden, damit eine Finanzierung vom Antrag bis zur Volltilgung erfolgreich verläuft.

Wie schnell können steigende Bauzinsen Ihrer Erfahrung nach dazu führen, dass für viele Menschen der Traum vom Eigenheim zerplatzt?
Leider recht schnell, wie die letzten Monate, in denen sich die Zinssätze mehr als verdreifacht haben, gezeigt haben. Hierzu vielleicht ein kleines Beispiel:
Nehmen wir eine vierköpfige Familie (beide Eheleute sind berufstätig), die seit Herbst letzten Jahres eine Immobilie sucht und für die Finanzierungsrate monatlich 2.000 Euro zur Verfügung hat. Damit hätte die Familie (bei einem Zinssatz von 1,00 % und einer Tilgung von 3,00 %) rechnerisch ein Darlehen in Höhe von 600.000 Euro langfristig finanzieren können.

Heute könnte diese Familie mit derselben Rate und einem Zinssatz von 3,00 % und gleichhohem Tilgungssatz rechnerisch nur noch ein Darlehen in Höhe von 400.000 Euro finanzieren, folglich 200.000 Euro weniger.

Da die Immobilienpreise aber seit Herbst letzten Jahres kaum bis gar nicht gesunken sind, hat sich die Chance, ein passendes Objekt zu finden, binnen eines halben Jahres dramatisch verschlechtert.

Diese Situation ließe sich durch eine geringere Tilgung zwar kompensieren, aber diesem Modell stehen die Anforderungen der Banken nach einem regelmäßig höheren Tilgungssatz doch sehr entgegen. Für diese Menschen bleibt oft nur die Hoffnung, dass die Zinsen wieder sinken.

Dass das fehlende Darlehensvolumen durch zusätzliches Eigenkapital ersetzt werden kann, ist dabei kaum eine als realistisch zu wertende Alternative. Es sei denn, man gewinnt tatsächlich doch mal im Lotto, worauf ich nicht setzen würde und daher gar kein Lotto spiele ...

Interview: Anna Florenske (Pressereferentin VWE Bundesverband)

Hintergrundinformationen zu steigenden Bauzinsen: EZB-Zinspolitik und Baufinanzierung


26.09.2022

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