2002 - 65 Jahre Windmühlensiedlung

ein Artikel von Otto Neels, entnommen der Chronik zum 65jährigen Siedlungsjubiläum 2002

Aufbau 1937

65 Jahre Leben in der Siedlung sind Freude und Leid, Arbeit und Geldaufwand, Garten und Ernte, Natur und Ruhe, Krieg und Frieden, Geburt und Tod, Liebe und Hass, Wahrheit und Lüge. Alles, was die Zeitläufe geben.

Vor 65 Jahren - Start am 20.4.1937. Auch damals hat die Bürokratie hohe Hürden vor den ersten Spatenstich gestellt. Nicht Jeder durfte mittun. Die Auswahl der "Siedlungsanwärter" durch das Sachsenwerk folgte wirtschaftlichen und politischen Vorgaben. Große Ziele wurden den Planern vorgegeben. Ein neues Dorf mit 3000 Einwohnern und allem, was das moderne Gemeinschaftsleben erfordert (Geschäfte, Schule, Kindereinrichtungen, Arztpraxis, Gemeinschaftshaus) sollten die Stammarbeiter für ihre Familien unter Leitung der GEWOG bauen. Die 4 Haustypen waren bescheiden, bezahlbar konzipiert und die Wirtschaftsordnung vom Deutschen Siedlerbund regelte die hauswirtschaftliche Ausnutzung der Flächen zur Unterstützung der Ernährung der Fami-lien. Die Neue Heimat konnte die großen Friedenspläne nicht umsetzen, denn es kam der große Krieg mit dem großen Völkermorden dazwischen. Not und Tod bestimmten nun viele Jahre das Schicksal der Familien.

Vor 57 Jahren - Neustart am 8.5.1945. Der Krieg ist vorbei, Dresden zerstört. Die Siedlung überlebt mit 160 Häusern unzerstört den Krieg. Welch ein Glück im Unglück! Aber die Russen übernehmen die Herrschaft in Sachsen und die Entnazifizierung beginnt. Persönlich geprägte Beurteilungen werden verfaßt. Einige Siedler verlieren ihre Grundstücke. Durch Befehl der SMAD (Sowjetische Militäradministration in Deutschland) wird die GEWOG/Neue Heimat als Unterorganisation der nazistischen DAF (Deutsche Arbeitsfront) enteignet. Damit werden die Siedler ebenfalls enteignet. Keine Eintragung im Grundbuch bedeutet kein Eigentum. Alle Ansprüche und Leistungen verfallen. Die Siedlung wurde durch die Gewerkschaft FDGB und später durch das Land Sachsen verwaltet.

Die damaligen Hauptprobleme sind Überleben und die Familie satt zu bekommen. Hier bietet die Siedlung große Vorteile. Intensiver Gartenbau und Kleintierhaltung helfen über das Gröbste hinweg. Es wird soviel erzeugt, daß sogar noch Produkte verkauft werden können und Spenden (an den Bürgermeister, Kindereinrichtungen und Volkssolidarität) möglich sind. Das Eigentum zu schützen und zu erhalten war damals eine Gemeinschaftsaufgabe. Am Flurschutz mußten alle männlichen Siedler mit Landanteilen teilnehmen. Er war nicht ganz ungefährlich. Das Nationale Aufbauwerk NAW schuf Straßen und Gemeinschaftseinrichtungen, förderte den Zusammenhalt und formte die Gemeinschaft. Nach Ausrufung der Bundesrepublik Deutschland wurde die Deutsche Demokratische Republik gegründet.

Vor 53 Jahren - Gründung der DDR am 7.10.1949. Der Wettkampf der Weltlager der Ideologien Kapitalismus und Sozialismus und der Kalte Krieg werden stellvertretend in Deutschland ausgetragen. Somit standen sich die DDR und die BRD immer als Antagonisten gegenüber, was viele Nachteile für die Menschen brachte.

Das Aufbauwerk wurde forciert und brachte die Wirtschaft wieder zum Laufen. Arbeitskräfte wa-ren überall gefragt. In den Geschäften der HO, des Konsum und den wenigen verbliebenen Privaten wurde das Warenangebot größer und besser. Der Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 brachte zeitweilig eine Lockerung der repressiven Staatsbürokratie. Im Zuge dieser Maßnahmen konnten die Siedler ihre Häuser kaufen. Die Grundstücke blieben aber als Volkseigentum in Rechtsträgerschaft der Stadt. An den Häusern wurde repariert und verschönert, wie es mit den bescheidenen Mitteln an Baustoffen aus der BHG möglich war. Der Konsum in der Buchsbaumstraße erleichterte allen Bewohnern den Einkauf und war eine spezielle Nachrichtenzentrale für die Siedlung. Kurze Zeit später bauten die Siedler mit Unterstützung des Stadtbezirkes Ost das Klubhaus / Siedlerheim / Kneipe. Diese Baracke war fast 40 Jahre der kulturelle Mittelpunkt der Siedlung und erlebte heftige Diskussionen in den Versammlungen, großartige Präsentationen der Gärtner und fröhliche Feste. Im NAW / VMI wurde die Siedlung gemeinschaftlich verschönert. So wurden Geräteschuppen und Wäschemangel erbaut. Wer zusammen arbeitet, kann auch gut zusammen feiern.

Vor 44 Jahren – 1958 bis 1972. Die Siedlung konnte durch die Bebauung der Südseite Franz-Werfel-Straße und Göppersdorfer Weg umfangreich erweitert und gestalterisch aufgelockert werden. Gleichzeitig wurde damit die Baulücke an der Windmühlenstraße geschlossen.

Vor 27 Jahren – 1975. Mit dem Aushub vom Neubaugebiet Prohlis wurden die Kiesgruben am Langen Weg verfüllt. Prohlis und das Sternstädtchen verstädterten das Umfeld. Auf Feldern mit vielen Singvögeln entstanden monotone Plattensiedlungen, Kaufhallen, Schulen, Kindereinrichtungen, Polikliniken. An Freizeit und Kultur war beim Planen und Bauen nicht gedacht worden. So wurde die Siedlung ein beliebtes Ausflugsgebiet für die Prohliser. Die Siedler indessen bekamen bessere Einkaufsmöglichkeiten und neue Fahrverbindungen in die Stadt.

Vor 13 Jahren – 1989. Partei, Staat und Stasi glaubten, daß im 40. Jahr der DDR alles gut gerichtet sei. Sie wollten nicht erkennen, daß Bevormundung, Gängelei, schlechtes Warenangebot, Reisebeschränkungen und Aluchips die Menschen schon lange unzufrieden machten. Im September 1989 formierte sich diese Unzufriedenheit auf der Straße unter dem Ruf "Wir sind das Volk". Und so kam das Ende der DDR. Aber vorher wurde am 7.3.1990 das Modrow-Gesetz rechtskräftig. Für uns Siedler ein großer Segen.

Vor 12 Jahren – 3.10.1990, Einheit Deutschlands – Neubeginn. Nun waren wir als Volk der DDR also in der Neuzeit gelandet. DM und Reisefreiheit waren ein kurzer Rausch. Telefon, Erdgas, Fernsehkabel, Elektroerdkabel, KaufPark Nickern, Prohlis-Zentrum, ausgebaute Dohnaer Straße sind alles segensreiche positive Ergebnisse der letzten Jahre. Aber Abwicklung und Konkurs unserer Industrie, Arbeitslosigkeit und ABM, Lehrstellenmangel und Obdachlosigkeit sind die Tatsachen, die wir erst lernen mußten und an die man sich nie gewöhnen sollte. Wenn das Geld nur noch das Maß aller Dinge ist, dann hört die Menschlichkeit auf. Recht haben, Recht bekommen und Recht vollziehen sind völlig unterschiedliche Kategorien. Diese schmerzlichen Erfahrungen mußten die Siedler beim Kauf von Grund und Boden nach Modrow-Gesetz und bei der Eintragung ihres Eigentums ins Grundbuch machen. Wer Geld hat, hat auch Einfluß. Die GEWOG/BIO hatte sich mit ihrer Restitution Entschädigung und Vorkaufsrechte gesichert. Es hat 9 Jahre intensiven Ringens gebraucht, um unsere Rechte erfolgreich durchzusetzen.

Vor 6 Jahren – 1996. Das Spartenheim / Klubhaus wird geschlossen und das Bundesvermögensamt hat das Grundstück übernommen. Nun gibt es schon wieder über 3 Jahre intensive Bemühungen, um das Grundstück für unseren Siedlerverein nutzen zu können. Das ist eine wesentliche Voraussetzung für die künftige Arbeit des Vereins. Die Siedlerfeste, Seniorenweihnachtsfeiern und Kin-derfeste sind immer Höhepunkte im Vereinsleben.

Gemeinsamkeit und Solidarität waren und sind ein wichtiges Mittel zur Erhaltung unserer Siedlung. Denn nur gemeinsam sind wir so stark, alle zukünftigen Herausforderungen zu meistern. Die Jugend ist die Sicherheit für unsere Siedlung. In diesem Sinne:

65 Jahre – Es muß nun die junge, dritte Generation antreten, das Ererbte zu erwerben, um es zu besitzen.
Viel Glück auf diesem Weg.

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